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Die graue Effizienz im Dauerstress

Frank-Walter Steinmeier ist stets und ständig unterwegs - und manchmal abgetaucht

  • Gabriele Oertel
  • Lesedauer: 4 Min.

Über mangelnde Aufmerksamkeit kann sich Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier wahrlich nicht beklagen. Kein Tag, an dem der SPD-Politiker in diesen Wochen der Unruhen in der Ukraine und um die Krim nicht Schlagzeilen produziert. Am Donnerstag in Budapest, zu Wochenbeginn im Baltikum. Mal in Washington mit dem US-Amtsbruder Kerry. Mal in Genf mit Russlands Außenminister Lawrow. Da in Kiew mit dem inzwischen in die Wüste geschickten Janukowitsch im Präsidentensitz, dort mit Klitschko auf dem Maidan. Manchmal auch auf kurzer Zwischenstation im Auswärtigen Amt oder im Bundestag in Berlin.

Vermutlich hat der Mann fürs Äußere, der sich unisono mit Bundespräsident Gauck und Verteidigungsministerin von der Leyen für ein stärkeres außen- und sicherheitspolitisches Engagement der Bundesrepublik Deutschland ausgesprochen hatte, nicht erwartet, dass er noch vor Ablauf der ersten 100 Tage der Großen Koalition das Ende der Zurückhaltung personifizieren muss. Und hat schon gar nicht für möglich gehalten, dass seine Mundwinkel nur drei Monaten nach seiner sichtlichen Freude über das Ende der vierjährigen außenpolitischen Abstinenz und die Rückkehr an den Berliner Werderschen Markt denen der Kanzlerin immer ähnlicher werden.

Noch Mitte Februar ließ sich der Außenminister feiern. »Der diplomatische Coup des Frank-Walter Steinmeier«, titelte da »Die Welt«, nachdem der 58-Jährige gemeinsam mit seinem polnischen und französischen Amtskollegen ein Abkommen zwischen ukrainischer Regierung und Opposition ausgehandelt hatte, das mit Ausblick auf Neuwahlen die Gewalt im Zentrum Kiews stoppen sollte. Der Jubel über das Geschick des deutschen Chefdiplomaten, der sich als »politisches Schwergewicht mit Autorität« erwiesen habe, war noch nicht verhallt, da verjagte die Opposition den Präsidenten und übernahm die Macht. Das gerade unterzeichnete Papier war Makulatur. Seither tobt ein unerbittlicher Kampf zwischen West- und Ostukraine, zwischen den EU- und Russland-Nahen - und fand im Ringen zwischen Kiew und dem Kreml um die Krim ihren Kristallisationspunkt. Und während der russische Präsident Putin vor laufenden Kameras noch den Einsatz von »Gospodin Steinmeier« hervorhob, überhörte er schnöde dessen Ruf nach einer Kontaktgruppe, mit der dem Säbelrasseln Einhalt geboten werden sollte - und werkelte ungeniert daran, die Schwarzmeerhalbinsel nach Russland zurückzuholen.

Das dürfte den deutschen Außenminister, der auf seine langjährigen guten Kontakte in die Moskauer Schaltzentralen gesetzt hatte, heftigst enttäuscht haben. Heftiger jedenfalls als die Tatsache, dass er auch aus Washington Ende Februar nicht eben mit viel Vorzeigbarem zurückkehrte, als er gegenüber Kerry die auf wenig deutsche Gegenliebe stoßende NSA-Spählust zur Sprache brachte. So groß auch die Mobilität - Steinmeier war jedenfalls im einen wie im andern Falle seiner Großmachtberührungen nicht sonderlich erfolgreich.

Aber man muss sich um den Mann, der schon als Büroleiter in der niedersächsischen Staatskanzlei hinter vorgehaltener Hand als »graue Effizienz« von Ministerpräsident Gerhard Schröder bespöttelt wie gefürchtet war, keine Sorgen machen. Vielleicht liegt es daran, dass er als Sohn eines Tischlers und einer Fabrikarbeiterin in der etwas spröden Gegend im Sauerland sich durchzusetzen lernte, vielleicht an den Finessen der juristischen Ausbildung, mit Sicherheit aber an den Erfahrungen als Politikmanager, Machtmakler und Strippenzieher - Steinmeier ist ein Stehaufmännchen. Er, der als Architekt der »Agenda 2010« galt und unter Rot-Grün das Kanzleramt leitete, schaffte 2005 nach dem poltrigen Abgang seines Gönners nahtlos den Übergang der SPD zur Großen Koalition, diente Angela Merkel als Außenamtschef und ab 2007 gar als Vizekanzler.

In Vorbereitung der Bundestagswahl 2009 funktionierte allerdings seine graue Effizienz nur suboptimal. Schon Steinmeiers Inthronisation als Kanzlerkandidat war kein gutes Omen. Wer erinnert sich nicht des Scharmützels am Schwielowsee, als der damalige SPD-Chef Kurt Beck den himmelweiten Unterschied zwischen Freund und Parteifreund am eigenen Leib erfahren durfte. Das Wahlergebnis geriet denn auch mit 23 Prozent zum schlechtesten der Sozialdemokraten bei Bundestagswahlen überhaupt, bescherte dem Land die schwarz-gelbe Koalition - und den SPD-Bundestagsabgeordneten noch am Wahlabend die Kandidatur von Steinmeier für den Fraktionsvorsitz.

Der hatte sein von vielen Genossen als übereilt empfundenes Streben nach einem neuen Sessel trotz des Wahldebakels mit dem Hinweis abgebügelt, er wolle sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Dabei kann Steinmeier auch bei Rückzugsgefechten effizient sein. Als SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück 2013 von Fettnapf zu Fettnapf stapfte, war der andere der Stones-Brüder über Wochen auf Tauchstation. Und jüngst in der »Edathy-Affäre« schoss sich die Union auf Fraktionschef Thomas Oppermann und Parteichef Sigmar Gabriel ein. Frank-Walter Steinmeier aber, der dritte SPD-Mitwisser des Verdachts gegen Sebastian Edathy, hatte wieder einmal Sendepause.

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