Denken lernen durch Gedichte

Bissig bis verschmitzt: Marco Tschirpke singt und reimt sich durch die Geschichte der Menschheit und ihrer Kunst

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 3 Min.

Über Marco Tschirpkes satirische Verse schreiben heißt, sie entschärfen. Pointierte Poeme sind das, in gebotener Kürze zumeist, die durch das Drumherumschwurbeln an Wirkung nur verlieren können. Tschirpke also ist einer, den man am liebsten fortwährend zitieren will. Dieses Gedicht hier zum Beispiel, »Jugoslawien, mon amour«: »Aus der deutschen Wiege stieg/ Ein gediegner Bürgerkrieg./ Selten, daß der Zufall waltet,/ Wo man sich die Schädel spaltet.« Punkt. - - - Oha! »Es hätte auch ›Ukraine, mon amour‹ heißen können«, sagte der Dichter im Berliner Kulturkeller »Habbema«, wo er am Donnerstag las und sang.

Man sollte wissen, dass das »Habbema« die Bühne der Peter-Hacks-Gesellschaft, und dass der 1975 geborene Tschirpke, bekennendes Kind der DDR, ein gewitzter Adept des sozialistischen Klassikers ist. Sich mit Hacks zu vergleichen, sagt Tschirpke bescheiden wie kokett, ist natürlich vermessen. Um hinzuzufügen: Ein Hugo Wolf habe sich bis ins Irrenhaus darüber gegrämt, dass er nicht Richard Wagner war. Doch im Versuch, dieser zu sein, sei jener weit gekommen. Der Unterschied zwischen Wagner/Hacks und Wolf/Tschirpke: Während die Vorväter auf einen Apparat bauen konnten - Wagner auf das Orchester, Hacks auf den Staat DDR - seien die Nachgeborenen trotz höchster Kunst verurteilt (oder glücklich erkoren?), Einzelkämpfer zu bleiben: »Wenn die DDR noch bestünde, könnte ich Kunst machen. In der gegenwärtigen Staatsform bleibe ich auf die Kleinkunst beschränkt. Es ist einmal so.«

Kabarettist ist er also, der Dichter. Und Pianist dazu. Wenn der studierte Musiker Marco Tschirpke in die Tasten greift, dann stellen sich alle Ohren auf. Staunenswert behänd fliegen die Finger über die Tasten, um der gereimten Pointe das Feld zu bereiten, die gerade dann aufsprießt, wenn alle Sinne geschärft sind. Doch nicht in jedem Falle braucht der Witz hier Worte. Als Parodie auf Bachs Fuge über das Thema B-A-C-H gab Tschirpke im barocken Cembalo-Sound zwei eigene Tongedichte zum Besten: eine Fuge über das Thema F-D-G-B, die zweite über das Thema B-A-S-F. Das ist die Wirkung der Ironie: Komisch zu sein, grad weil man vorgibt, es bitter ernst zu meinen.

Inspiriert von Hacks’ Gedichtzyklus »Kunstformen der Geschichte«, legte Tschirpke im »Habbema« reimend und manchmal singend einen zweistündigen Parforceritt durch 30 000 Jahre Menschheitsgeschichte hin, geistreich und durchtrieben. Vom Neandertal auf den Maidan gleichsam, gesprungen von Speer zu Speer, von Spitze zu Spitze.

Tschirpkes pfiffigste Gedichte und gepfeffertste Fußnoten galten der bildenden Kunst. Von Berufs wegen viel unterwegs, finde er sich nicht selten »in misslungenen Landschaften« wieder. Sein Fluchtpunkt dann: die Museen - als »Orte, an denen vieles noch stimmt«. Was Tschirpke, dem Klassischen aufs Komischste zugetan, von der Moderne hält? Sein Gedicht »Die Roßkur«, darin die Rede ist von Edward Munchs Marotte, seine Gemälde der Witterung auszusetzen, was ihrer Haltbarkeit nicht eben förderlich war, endet so: »O ich wünschte, das komplette/ Werk von Andy Warhol hätte,/ Statt den Erdball zu umrunden,/ Solchen Niederschlag gefunden.« Muss man erwähnen, dass Tschirpke nicht nur an dieser Stelle den guten, alten Endreim pflegt?

Es heißt, Kunst käme von Können. Tschirpke beweist: Komik auch.

Marco Tschirpke: Gedichte, Band 1. Verlag André Thiele, 176 S., geb., 18 €.

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