Afghanistans neuer Kolonialpakt

Emran Feroz über ein »Partnerschaftsabkommen«, das seinen Namen nicht verdient

  • Emran Feroz
  • Lesedauer: 4 Min.

Noch in diesem Jahr – wahrscheinlich wohl spätestens zu Beginn des nächsten Jahres – wollen die ISAF-Truppen aus Afghanistan abziehen. Nach über einem Jahrzehnt Krieg, in dem am Hindukusch die Korruption in die Höhe geschossen ist, der Opiumanbau ein Rekordausmaß erreicht hat und der Terrorismus gestiegen ist, will die internationale Staatengemeinschaft, allen voran die USA, das Land nicht vollkommen im Stich lassen. Zumindest soll dieser Anschein geweckt werden.

Die Zukunft der beiden Länder soll mit einem sogenannten strategischen Partnerschaftsabkommen (Bilateral Security Agreement, kurz BSA) abgesichert werden. Seit Monaten fordern die USA den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai auf, das Abkommen zu unterzeichnen. Dieser wehrt sich jedoch vehement und will allem Anschein nach die Verantwortung auf seinen Nachfolger, der nächste Woche gewählt werden soll, abwälzen. Der Grund hierfür ist offensichtlich. Ein Blick in das Abkommen zeigt, dass es mehr einem Kolonialpakt ähnelt, als einer Partnerschaft dient.

Nächtliche Durchsuchungen

Obwohl die USA aus Afghanistan abziehen wollen, soll ein bestimmtes Kontingent weiterhin im Land bleiben und für »Sicherheit« sorgen. Den US-Soldaten wird weiterhin erlaubt sein, nachts auf der Suche nach Terroristen und Verdächtigen Häuser zu stürmen. Diese Praxis hat über die vergangenen Jahre dazu geführt, dass der Hass auf die amerikanischen Besatzer zugenommen hat. Sein Haus ist dem Afghanen das Heiligste. Jede Person, die einfach ohne Erlaubnis in ein Haus hineinplatzt, tritt die Ehre und den Stolz des Afghanen mit Füßen.

Abgesehen davon werden nicht nur Türen eingetreten und Häuser durchsucht. In der Vergangenheit kam es mehrmals zu Massakern seitens US-Soldaten. Immer wieder wurden Frauen und Kinder brutal hingerichtet, ohne Folgen für die Täter. Einer dieser Fälle wurde unter anderem in Jeremy Scahills Buch und Dokumentarfilm »Dirty Wars« deutlich beschrieben. In einem Haus in der ostafghanischen Provinz Paktia wurden damals Mitglieder einer Familie – Frauen und Männer – regelrecht massakriert. Nach ihrer Bluttat griffen die US-Soldaten zu ihren Messern und entfernten die Patronen ihrer Gewehre aus den Körpern der Toten – vor den überlebenden Verwandten.

Von NATO-nahen Medien wurde kurz darauf lediglich von »getöteten Taliban-Kämpfern« berichtet. Erst nachdem mehr durchsickerte, gestanden die Soldaten ihre Bluttat. Verurteilt wurde jedoch niemand. Stattdessen wurde ein Lamm geschlachtet und die Sache für beendet erklärt. Dieses Prozedere soll nun weitergehen – auch nach 2014.

Straffreiheit

In diesen sowie in zahlreichen weiteren Fällen wurden die verantwortlichen Soldaten mit keinerlei Strafen konfrontiert. Im schlimmsten Fall wurde lediglich jemand »unehrenhaft« aus der Armee entlassen. Im Falle des Kandahar-Massakers, welches vor zwei Jahren stattfand, wurde schnell ein Schuldiger gefunden, den man als psychisch krank abgestempelt hat. Der angebliche Täter – Robert Bales – wurde von einem US-Gericht zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Allerdings hieß es seitens Augenzeugen sowie einer afghanischen Untersuchungskommission, dass mindestens ein Dutzend Soldaten am Blutbad beteiligt gewesen sind. In Washington wollte man jedoch nichts darüber wissen. Der Sündenbock wurde gefunden, der Fall zu den Akten gelegt.

Abgesehen davon genießen US-Soldaten ohnehin Straffreiheit. Egal was sie tun, ob foltern, morden oder vergewaltigen, kein afghanisches Gericht ist dazu ermächtigt, ein Verfahren gegen einen amerikanischen Soldaten einzuleiten. Selbiges gilt im Übrigen auch für das Internationale Strafgericht in Den Haag. Auch daran soll sich laut Abkommen nichts ändern. Dies liegt anscheinend nicht nur im Interesse der USA.

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat während seines letzten Besuchs in Kabul in einem Gespräch mit Karzai ebenfalls auf diese Straffreiheit bestanden. Überraschend ist das nicht. Immerhin war der deutsche Staat nicht einmal in der Lage, seinen eigenen Massenmörder, den damaligen Oberst Klein, zu bestrafen. Stattdessen wurde er befördert. Warum US-Soldaten in Afghanistan anders behandelt werden sollen als jene, die einst in Deutschland stationiert waren und bestraft werden durften, hat Steinmeier bis jetzt noch niemanden erklärt.

Drohnen-Krieg und weitere Operationen

Die CIA-Basis in Kabul, von manchen als größte Basis des Geheimdienstes in Zentralasien bezeichnet, wird im Vertrag an keiner Stelle erwähnt. Dass diese weiterhin bestehen bleiben soll, scheint demnach selbstverständlich zu sein. Kein Wunder, denn von hier aus sollen weiterhin zahlreiche Operationen innerhalb und außerhalb Afghanistans koordiniert werden. Während Soldaten abzogen werden, will man sich vor allem auf das maschinelle Töten konzentrieren. Stichwort: Drohnen-Angriffe. Dass mitten in der Hauptstadt Afghanistans die CIA weiterhin handhaben darf, wie sie es wünscht, beweist ohnehin, dass man weder an Souveränität, noch an irgendeine Partnerschaft interessiert ist. Es geht wie auch sonst schlichtweg um die eigenen Interessen.

Da sich Hamid Karzai all dieser Punkte bewusst ist, will er nicht als Vaterlandsverräter in afghanische Geschichtsbücher eingehen. Aus diesem Grund verfolgt er beinhart seine Strategie und betreibt bei jeder nur möglichen Gelegenheit USA-Bashing. Als er vor einigen Tagen das Handeln Russlands bezüglich der Krim-Krise als richtig empfand, wollte man in Washington den eigenen Ohren nicht trauen. Nichtsdestotrotz sind zahlreiche Regierungsmitglieder an der Unterzeichnung des Vertrages interessiert. Kein Wunder. All die teuren Autos, das jet-Set-Leben und die Luxusvillen sind zur Gewohnheit geworden. Ohne die Hilfsgelder, die der Vertrag verspricht, würde das korrupte System von heute auf morgen in sich zusammenfallen.

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