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Aufarbeitung scheitert an Hardlinern

Brasilianische Gesellschaft ist in der Bewertung der Diktatur gespalten

  • Andreas Behn, Rio de Janeiro
  • Lesedauer: 4 Min.
Heute jährt sich der 50. Jahrestag des
Militärputsches gegen Brasiliens linken
Präsidenten João Goulart. 1970 nutzte die Militärdiktatur den Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft, um von der innenpolitisch schwierigen Lage im Land abzulenken. Das käme 2014 auch der jetzigen Präsidentin Dilma Rousseff zupass. Während der Diktatur war sie im Widerstand und Folteropfer.

Es ist unwahrscheinlich, dass Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff am 31. März das Wort ergreift. Einzige konkrete Maßnahme zu diesem historischen Tag war bisher die Anweisung an das Militär, jegliche Feierlichkeiten zu unterlassen. Zum 50. Mal jährt sich der Staatsstreich von 1964, der 21 Jahre einer brutalen Diktatur einleitete. Wie so oft in ihrer vierjährigen Amtszeit vermeidet Rousseff klare Worte. Sie will es sich mit niemandem verscherzen, zumal sie im Oktober für eine zweite Amtszeit kandidieren wird.

Rousseff war einst selbst Widerstandskämpferin, die Militärs verhafteten und folterten sie. Immerhin schuf sie 2012 eine Wahrheitskommission, die bis Ende dieses Jahres die Verbrechen von damals recherchieren soll. Ein wichtiger Schritt, der schon viele schmerzhafte Details zutage brachte - allerdings ohne juristische Konsequenzen, da ein Amnestiegesetz aus dem Jahr 1979 alle Verbrechen des Staates aber auch der Guerillakämpfer im Widerstand vor Strafverfolgung schützt. Eine Aufarbeitung der bleiernen Zeit findet kaum statt, die brasilianische Gesellschaft ist in der Bewertung der Diktatur gespalten.

Organisationen von Angehörigen der Opfer, soziale Bewegungen und Teile linker Parteien fordern eine Bestrafung der Täter. Das Wissen um die Geschichte müsse durch Gedenkstätten wach gehalten werden, vor allem sei eine Reform der militarisierten Sicherheitskräfte notwendig. Das Bewusstsein von Straffreiheit und korrupte Strukturen bei der Polizei seien die Ursache für brutale Einsätze insbesondere in Armenviertel, bei denen in den Großstädten fast täglich Menschen erschossen werden.

»Die brasilianische Polizei ist extrem gewalttätig. Hätte es nach der Rückkehr zur Demokratie 1985 eine Reform der Polizeiarbeit gegeben, gäbe es heute viel weniger Gewalttaten in unserem Land«, erklärte Ana Bursztyn Miranda von der Betroffenenorganisation Coletivo Memória, Verdade e Justiça (Kollektive Erinnerung, Wahrheit und Erinnerung).

Große Teile des Militärs, aber auch viele Mitglieder rechter Parteien, Unternehmensvertreter und einige Kirchenleute bezeichnen den Sturz der gewählten Regierung des linken Präsidenten João Goulart und die Einsetzung eines autoritären Regimes nach wie vor als richtig und notwendig. Sie lehnen die Formulierung »Putsch« ab und argumentieren, dass der Machtwechsel Brasilien vor einem Sturz ins Chaos bewahrt habe. »Das brasilianische Volk hat (damals) die Streitkräfte an die Macht gebracht, um die Ordnung und die Demokratie zu verteidigen«, sagte vergangene Woche der Abgeordnete Jair Bolsinaro und setzte durch, dass er 15 Minuten Rederecht während der Feierstunde im Parlament am 1. April haben wird.

»Noch bis vor wenigen Jahren wurde der Jahrestag in den Kasernen als Revolution gefeiert«, beklagt die 65-jährige ehemalige Widerstandskämpferin Miranda. »Nachbarländer wie Argentinien oder Chile sind viel weiter. Dort gibt es bereits Gedenkstätten, und die Täter von einst werden juristisch verfolgt.« Sie macht das jahrzehntelange Schweigen für fehlende Aufarbeitung und das falsche Geschichtsbild in vielen Köpfen dafür verantwortlich. »Ich wünsche mir, dass meine frühere Zellengenossin Dilma Rousseff Position bezieht und deutliche Worte spricht. Das würde vielleicht einen Ruck in der Gesellschaft auslösen.« Ana Miranda wird auch bei den »Nie Wieder - Gedenktagen« zu hören sein, die im April in Berlin und Köln stattfinden werden.

Das lange Schweigen hat zur Folge, dass sehr viele in Brasilien das Thema Diktatur kaum interessiert. »Lieber keine alten Wunden aufreißen«, so der Tenor. Rechtsradikale Positionen werden zwar zunehmend an den Rand gedrängt und auch die größtenteils rechte Presse kommt nicht mehr umhin, von einem Putsch und massiven Menschenrechtsverletzungen zu sprechen. Zugleich haben es die Aktivisten schwer, ihrer Forderung nach Aufarbeitung und Strafverfolgung Gehör zu verschaffen. Zahlreiche Gruppen organisieren rund um den Jahrestag Seminare und Demonstrationen. Doch der Zulauf ist gering. Oft sind es nur einige Hundert Antifas, die demonstrieren und sich mit rechten Agitierern Handgreiflichkeiten liefern.

Mehrere Generäle regierten während der 21 Jahre das Land mit harter Hand. Die Verfolgung Oppositioneller setzte sich auch im Ausland fort, da die Diktaturen mehrerer südamerikanischer Staaten im Rahmen der geheimen »Operation Condor« auch grenzübergreifend Jagd auf Regimekritiker machten.

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