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Oranienplatz spaltet Parlament

Während sich Senatsfraktionen abfeiern, kritisieren Piraten und LINKE die Campauflösung

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.
In einer Regierungserklärung bezeichnete der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) den Abbau des Camps als «großen Erfolg» - Teile der Opposition sahen das deutlich kritischer.

Die Auflösung des Flüchtlingscamps am Oranienplatz wurde am Donnerstag im Abgeordnetenhaus kontrovers diskutiert. Während sich die Regierungsfraktionen von SPD, CDU und teilweise auch die Grünen zufrieden mit einer angeblich «friedlichen Auflösung» des Protestcamps zeigten, sahen Linkspartei und Piraten keinen Grund, vermeintliche Erfolge zu feiern.

Den Auftakt in der hitzigen Debatte machte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). In seiner Regierungserklärung sagte er, dass die Ereignisse um den Oranienplatz deutlich gemacht haben, dass die Flüchtlingsfrage nicht nur mit der Bereitstellung von Wohnraum gelöst werden könne. «Mit Augenmaß und Menschlichkeit, aber auch mit klaren Regeln» sei eine Lösung unter der Verhandlungsführerin, der Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD), erzielt worden. «Berlin muss offen sein für Flüchtlinge», betonte Wowereit auch in Hinblick auf die Geschichte der Stadt.

Protest der Flüchtlinge dauert an

Der Platz ist geräumt und eingezäunt, doch Ruhe ist noch nicht eingekehrt am Kreuzberger Oranienplatz. Napuli, die zu den Bewohnern des am Dienstag abgerissenen Camps gehörte, hält einen Baum auf dem Platz besetzt. In einer am Donnerstag verschickten Pressemitteilung begründen Flüchtlinge den andauernden Protest: Der Widerstand gehe nicht um den Oranienplatz, sondern »um unsere Forderungen, wir haben unsere Länder nicht verlassen, um um den Oranienplatz zu kämpfen«.

Sie betonen, dass die »Darstellung, dass der Widerstand bei der Räumung des Oranienplatzes von linken Aktivist_innnen ausging«, falsch sei. »Er kam von uns Geflüchteten, die immer noch auf dem Oranienplatz demonstrieren. Wir gehören zu den protestierenden Geflüchteten die seit Oktober 2012 auf dem Oranienplatz sind, um gegen Lager, Residenzpflicht und Abschiebung zu protestieren.«

In Solidarität zu der Baumbesetzung traten am Mittwochabend mehrere Flüchtlinge in den Hungerstreik. Der solle andauern, »bis Napuli mit Lebensmitteln und trockener Kleidung« versorgt werde.

Sämtlicher Protest solle nicht beendet werden, solange Integrationssenatorin Dilek Kolat oder ein anderer Vertreter des Senats »nicht zum Oranienplatz kommt, um die Verhandlungen fortzuführen und der Infopunkt von der Polizei als Ort des Protestes freigegeben wird«. Ihr Schreiben ergänzten die Protestierenden um die Forderungen, mit denen das Camp am Oranienplatz ursprünglich begann. Sie fordern u.a. die Abschaffung der Residenzpflicht sowie den Stopp von Abschiebungen, außerdem ein Recht auf Arbeit sowie die gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Außerdem solle die Schule in der Ohlauerstraße in Kreuzberg nicht geräumt, sondern ein politisches Zentrum für Geflüchtete werden. nd

 

Das sei die Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit. Bis zum Ende des Jahres benötigt die Stadt laut Wowereit 12 000 Unterkunftsplätze. Er verwies zugleich darauf, dass zu Beginn der 90er Jahre doppelt so viele Menschen in Berlin Zuflucht gefunden haben. Die Anstrengung sei lösbar, erklärte Wowereit, der zudem Respekt, Solidarität und Anteilnahme für die Flüchtlinge einforderte. Harsche Kritik äußerte Wowereit lediglich an den Unterstützern der Flüchtlinge auf dem Oranienplatz aus der linken Szene. Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg und seine in den vergangenen Monaten vom Senat häufig gescholtene Grüne-Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann bezeichnete der Regierende dagegen als «konstruktiv» und «lernfähig».

Der Senat will nun das Schicksal eines jeden einzelnen Flüchtlings prüfen. Das für den Oranienplatz ausgehandelte Angebot soll unterdessen auch für die Flüchtlinge in der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg gelten. Dass es noch einmal zu einem Protestcamp kommen könnte, schloss Wowereit aus. «Berlin wird es in Zukunft nicht dulden, dass öffentliche Plätze zu Zeltlagern werden.»

Zuspruch zu seiner Erklärung bekam Wowereit nicht nur aus den Reihen der Regierungsfraktionen, sondern auch von den Grünen. «Man hat gesehen, dass es möglich ist, das Schwarzer-Peter-Spiel zwischen den Institutionen zu durchbrechen, erklärte die Grüne-Fraktionschefin Ramona Pop mit Blick auf den Clinch zwischen Bezirk und Senat. Ihre Partei will nun darauf achten, dass bei den Einzelfallprüfungen der Asylverfahren alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden.

Deutlich kritischer als die Grünen nahm die Linkspartei zur Regierungserklärung Wowereits Stellung. »Hier geht es verlogener zu als sonst üblich«, stellte der Fraktionsvorsitzende Udo Wolf der Sozialisten gleich zu Beginn seiner Rede fest. Er warf dem rot-schwarzen Senat vor, beim Oranienplatz viel zu spät reagiert zu haben: »Wie kann man bei diesem Elend von Erfolg sprechen?« Überdies sei keine der politischen Forderungen der Flüchtlinge erfüllt und eine Einzelfallprüfung und Unterkunft wären das »mindeste«, sagte Wolf, der Verständnis für die »radikaleren« Protestformen der Flüchtlinge zeigte.

Auch die Piraten sehen durch die Auflösung des Camps keine Lösung für die heterogene Gruppe der Flüchtlinge. »Die Einigung war geeignet, die Flüchtlinge gegeneinander auszuspielen und zu spalten«, sagte der Fraktionsvorsitzende Oliver Höfinghoff.

Wie gepalten das Abgeordnetenhaus in der Flüchtlingspolitik allen Erklärungen zum Trotz weiter ist, zeigte sich im Anschluss an die Debatte zum Oranienplatz. Ein Antrag der LINKEN, zumindest die Residenzpflicht zwischen Berlin und Brandenburg vollständig aufzulösen, wurde von SPD und CDU gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.

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