Von Swing bis Punk

50. Festival »Jazz an der Oder« zeigt die Vielfalt der polnischen Szene

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 3 Min.

In Polen war der Jazz während des Stalinismus aus der Öffentlichkeit verbannt; nach Stalins Tod erlebte er eine erste Blüte. 1954 fand in Kraków das erste Jazzfestival des Landes statt. Zwei Jahre später trafen sich zehntausende Jazzfans in Sopot. Der Jazz genoss bereits ein hohes Ansehen, als 1964 der Studentenverein in der niederschlesischen Metropole Wrocław (Breslau) beschloss, ein Festival namens »Jazz an der Oder« zu gründen. Am Sonntag ging das Jubiläum zum 50-jährigen Bestehen dieser wichtigen polnischen Jazzreihe zu Ende.

Die meisten Veranstaltungen des zehntägigen Festivals liefen im Club Impart, einem ehemaligen Theatersaal mit Polstersitzen und Empore. Er liegt am Rande der Altstadt, hinter einem Rummelplatz und einer großen Straßenkreuzung; das recht junge Publikum kommt mit Fahrrad oder Straßenbahn.

Der größte Andrang herrschte bei amerikanischen Stars wie Kenny Garrett oder Gregory Porter. Viel Beifall erhielt auch die virtuose, eng verzahnte Musik des Ambrose Akinmusire Quintetts. Spannend war das Wechselspiel zwischen Akinmusires geschmeidiger Trompete und dem farbenreichen Klangteppich des Schlagzeugers Justin Brown.

Neben den Amerikanern konnte man einheimische Stars wie die Trompeter Tomasz Stańko und Piotr Wojtasik oder den Saxophonisten Piotr Baron erleben. Als besonders vielversprechend wurde Marek Napiórkowski, der »polnische Pat Metheny«, gehandelt. Die hohen Erwartungen konnte der Gitarrist allerdings nicht einlösen. Er hatte sein Sextett um eine Holzbläser-Band ergänzt. Das sorgte zwar für aparte Klangfarben, doch boten die streng durchgeformten Arrangements wenig Raum für Spontaneität, sondern dienten eher der Untermalung von Napiórkowskis spannungsarm ningelndem Gitarrenspiel. Umso mehr jubelte das Publikum, als auch mal dem charismatischen Schlagzeuger Clarence Penn ein Solo zugestanden wurde.

Höhepunkt des Festivals war ein mehrstündiger Konzertmarathon mit Teilnehmern vergangener Jahre. Da erlebte man auch das Jazz Band Ball Orchestra, das 1964 den ersten Festivalwettbewerb gewann. Die einst von jazzbegeisterten Musikstudenten aus Kraków gegründete Band verteidigte mit viel Temperament und Spielfreude ihren Ruf als erfolgreichste Swing-Combo Polens.

Moderner und raffinierter wirkte das ebenfalls seit Jahrzehnten bestehende Zbigniew Namysłowski Quintett, das die polnische Folklore in seine Musik einbezieht. Langjährige Festivalteilnehmer spielten ebenfalls im Quartett des Kontrabassisten Mariusz Bogdanowicz, dessen ansprechend sinnliche und geistreiche Musik allerdings keine eigene Handschrift erkennen ließ.

Die politische Wende ging auch an »Jazz nad Odrą« nicht spurlos vorüber. »In sozialistischen Zeiten leitete der Studentenverband das Festival; danach übernahm eine Stiftung und schließlich 2004 die Kommune die Trägerschaft«, erzählt Wojciech Siwek, einer der Gründer des Festivals, der von Anfang an jeden Jahrgang mitorganisiert hat. Siwek zufolge wandelte sich auch der Musikgeschmack. »Früher wurde viel Free Jazz aufgeführt. Der galt als subversiv; die Menschen dachten dabei an die Freiheit«, stellt er fest. »Diese Musik hat heute kaum noch ein Publikum. Unser Angebot ist vielfältiger geworden und reicht bis zu Blues und Soul.«

Im Jubiläumsjahrgang ist Einiges anders als sonst. »Man hat das eigentlich einwöchige Festival um ein paar Tage verlängert; die Konzerte werden ergänzt durch Filme, eine New-Orleans-Parade und einen Kinder-Workshop«, erzählt Wojciech Siwek. »Außerdem läuft eine Ausstellung mit den Festivalplakaten der vergangenen Jahrzehnte.«

Zum Abschluss der Jubiläumsgala des Festivals am Samstag spielte die Gruppe Pink Freud, die mit ihren Punk-Improvisationen zu den originellsten Stimmen im zeitgenössischen polnischen Jazz zählt. Ein größerer Kontrast zum Swing des Jazz Band Ball Orchestra ist kaum denkbar - »Jazz an der Oder« zeigte die polnische Szene in all ihrer Kreativität und Vielfalt.

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