Russland schuf die »Bedingungen«

Putin räumt Einsatz russischer Einheiten auf der Krim vor dem Referendum ein

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 4 Min.
Erwartungsgemäß drehten sich die meisten Fragen bei der großen Fernseh-Fragestunde des russischen Präsidenten Wladimir Putin am Donnerstag um die Krise in der Ukraine und den Umgang mit ihr.

Zur gleichen Zeit, da in Genf die Außenminister Russlands, der Ukraine und der USA zusammen mit Europas Chefdiplomatin Catherine Ashton nach politischen Lösungsansätzen suchten, beantwortete Wladimir Putin knapp vier Stunden lang Fragen aus verschiedenen Regionen Russlands. Nach dem Genfer Treffen sprachen russische Beobachter von Anfangserfolgen und Licht am Ende des Tunnels. Wie lang der ist, sei jedoch unklar. Ebenso, ob die Akteure sich an die in Genf getroffenen Abmachungen halten, die vor allem die Eskalation der Gewalt stoppen sollen. Dafür plädierte auch Putin bei seiner Bürgersprechstunde mehrfach. Gleichzeitig warnte er die Führung in Kiew vor gewaltsamen Lösungen in der Ostukraine.

Der Faktor Gewalt, so der Präsident, sei zwar eine geopolitische Konstante, aber »nicht maßgebend«. Russland setze beim Krisenmanagement auf ein »starkes Völkerrecht«. Die Staaten müssten sich vom gesunden Menschenverstand leiten lassen und Verhaltensregeln festlegen, die »stabil sind und es ermöglichen, Einvernehmen zu erzielen und nach Kompromissen zu suchen ohne zu Gewalt zu greifen«.

Genfer Erklärung zur Ukraine

Die Genfer Erklärung vom 17. April nach einer dpa-Übersetzung:

»Das Genfer Treffen zur Situation in der Ukraine hat sich auf erste konkrete Schritte geeinigt, um die Spannungen zu deeskalieren und die Sicherheit für alle Bürger wieder herzustellen. Alle Seiten müssen jegliche Gewaltanwendung, Einschüchterungen und Provokationen unterlassen. Die Teilnehmer verurteilen aufs Schärfste alle Formen von Extremismus, Rassismus und religiöser Intoleranz, einschließlich Antisemitismus.

Alle illegalen bewaffneten Gruppen müssen entwaffnet werden. Alle illegal besetzen Gebäude müssen ihren legitimen Eigentümern zurückgegeben werden. Alle illegal besetzten Straßen, Plätze oder andere öffentliche Flächen in den ukrainischen Städten und Gemeinden müssen geräumt werden.

Demonstranten, die ihre Waffen abgegeben und besetzte Häuser geräumt haben, wird eine Amnestie zugesichert - ausgenommen jenen, die schwerer Verbrechen überführt wurden. Vereinbart wurde zudem, dass die Beobachtermission der OSZE eine führende Rolle bei der Unterstützung der ukrainischen Behörden und Kommunen übernimmt, um diese Schritte zur Deeskalation in den kommenden Tagen dort auszuführen, wo sie am notwendigsten sind. Die USA, die EU und Russland verpflichten sich, diese Mission zu unterstützen, auch mit der Bereitstellung von Beobachtern.

Der angekündigte Verfassungsprozess wird transparent sein und niemanden ausgrenzen. Dazu gehören ein sofortiger, breiter nationaler Dialog, der alle ukrainischen Regionen und politischen Körperschaften erreicht und Möglichkeiten zu öffentlichen Kommentierungen und Verbesserungsvorschlägen eröffnet.

Die Teilnehmer unterstreichen die Wichtigkeit der wirtschaftlichen und finanziellen Stabilität der Ukraine und stehen bereit für weitere Hilfe bei der Umsetzung der oben genannten Schritte.«

 

Putin verwies dabei auf die Entwicklungen in Irak, Afghanistan und Libyen und auf Versuche der USA. eine unipolare Welt zu schaffen. Dem liege die Illusion zugrunde, dass sich alles nur durch Gewalt lösen lasse.

Auf die Frage, ob Russland militärisch in die Entwicklungen in der Ostukraine eingreifen wird, sagte Putin, das Mandat, das der Föderationsrat ihm dazu auf dem Höhepunkt der Krimkrise Anfang März erteilte, sei nach wie vor gültig. Er hoffe jedoch, »dass es uns gelingen wird, alle akuten Probleme der Ukraine mit politischen und diplomatischen Mitteln zu regeln.« Man dürfe nach dem Beitritt der Krim zu Russland jedoch nicht in Euphorie verfallen. Russland, so Putin weiter, habe die Schwarzmeerhalbinsel nicht annektiert. Die - überwiegend russischsprachigen - Bewohner hätten sich dafür durch freie Willensäußerung entschieden.

Erstmals - und das war wohl die einzige Überraschung bei den 85 Fragen, die Putin beantwortete - räumte er in diesem Zusammenhang jedoch ein, was er noch Anfang März bestritten hatte: den Einsatz regulärer Streitkräfte und Spezialeinheiten auf der Krim, die als prorussische sogenannte Selbstschutzeinheiten getarnt waren. »Selbstverständlich«, sagte Putin wörtlich, hätten sie »die Bedingungen für das Referendum geschaffen, das sonst nicht hätte stattfinden können«.

Der kritische Militärexperte Alexander Golz sah darin das Eingeständnis, dass die Eingliederung der Krim mit militärischen Mitteln erfolgt sei. Zugegeben habe Putin das jetzt nur, weil längeres Leugnen aufgrund der Beweislast sinnlos und die »Operation letztendlich von Erfolg gekrönt war«. Zumindest kurzfristig. Der Langzeitschaden, warnte Politikwissenschaftler Dmitri Oreschkin, sei beträchtlich und würde das ohnehin gestörte Vertrauen zwischen Russland und dem Westen weiter untergraben.

Putin selbst sah das anders. Moskau, sagte er bei der Fragestunde, trage daran keine Schuld. Reparabel sei der Schaden nur durch Berücksichtigung der Interessen des jeweils anderen und durch Verzicht auf »doppelte Standards«. Gemeint war vor allem westliche Kritik an russischen Vergleichen zwischen den Entwicklungen auf der Krim und der Abspaltung Kosovos von Serbien.

Doppelte Standards und westliche Sanktionen, orakeln russische Medien seit Tagen, würden Moskau nachgerade in ein antiwestliches Militärbündnis mit Peking drängen, über Details werde der Präsident bei seinem Besuch in China im Mai verhandeln.

Putin dementierte. Russland habe nicht die Absicht, ein militärpolitisches Bündnis mit China zu gründen. Aber auch ohne dieses werden die russisch-chinesischen Beziehungen ein wesentlicher Faktor der Weltpolitik sein, derart vertrauensvolle Beziehungen im militärischen Bereich habe es nie zuvor gegeben.

Auf die Beziehungen zur derzeitigen Führung der Ukraine angesprochen, sagte Putin: »Heute halten wir diese Behörden für nicht legitim, und als solche können sie auch nicht gelten, denn sie verfügen über kein nationales Mandat für die Verwaltung des Landes.« Dennoch lehne Moskau Kontakte, »mit wem auch immer«, nicht ab. Als Beispiele nannte er Gespräche, die der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedjew mit dem amtierenden ukrainischen Premier Arseni Jazenjuk und Staatsduma-Chef Sergej Naryschkin mit Interimspräsident Alexander Turtschinow geführt hätten.

Das Parlament der von der Republik Moldau abtrünnigen Dnjestr-Republik hatte Russland und die UNO am Mittwoch zur Anerkennung ihrer Unabhängigkeit aufgerufen. Putin ging darauf nicht direkt ein, beklagte aber, dass an der Grenze zwischen der Dnjestr-Republik und der Ukraine nationalistische bewaffnete Verbände konzentriert seien. »Diese Situation muss beendet werden. Die Menschen müssen selbstständig über ihre Zukunft entscheiden dürfen.« Darauf werde Russland gemeinsam mit seinen Partnern hinarbeiten.

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