»Osteuropaweiß«

Sarah Crossan und Kasienka aus Danzig, die ihren Vater sucht

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Allein, wie schön das Buch aussieht! Der junge Verlag Mixtvision leistete sich einen Leineneinband, der auch noch bedruckt ist - hellblau aquarelliert und weiß, darauf rechts ein Koffer mit Herz, links fallen Tränen. So sehr liebt die Mama ihren Mann, dass sie ihm mit Kind und Koffer hinterhergereist ist - aus Danzig nach Coventry, denn eine Postkarte von ihm war dort gestempelt. So sehr weint sie um ihn, dass sie ihre Tochter Kasienka nur noch durch einen Tränenschleier sieht. Dabei hat es das Mädchen doch auch schwer. Wird von der Schuldirektorin in eine fünfte Klasse gesteckt, obwohl sie schon zwölf ist, fast dreizehn. Wird bestraft, weil sie die fremde Sprache noch nicht so gut kann. »Die braunen Kinder spielen mit den weißen Kindern. Die schwarzen Kinder spielen mit den braunen Kindern ... Mit mir will keiner spielen, denn ich bin zu weiß ... Osteuropaweiß, Polnisch Winterweiß.«

In rhythmischer Sprache erzählt Sarah Crossan. Ganz kurze Texte jeweils mit Überschrift sind wie Gedichte gesetzt. Das erlaubt schnelle Wechsel des Blicks. Dieser Blick ist eindringlich - mal auf die Verzweiflung der Mutter gerichtet, mal auf die Schulklasse Kasienkas, die nun Cassie heißt, auf die anderen Mädchen, die sie entweder nicht beachten oder schikanieren. Sie spüren eine Schwäche. Wie auch nicht, wenn Kasienka ihre ganze freie Zeit damit verbringt, mit der Mutter den Vater zu suchen. An der Wand des ärmlichen Zimmers, in dem die beiden untergekommen sind, hängt ein Stadtplan. Straße für Straße, Haus für Haus klappern sie ab, erst mal vergeblich.

Wie hat es Kanoro geschafft, dass er Kasienka die Adresse zustecken kann? Kanoro? Er ist Kinderarzt aus Kenia, »schwärzer als irgendwer«, und wohnt im Zimmer nebenan. »In Coventry putzt er im Krankenhaus, wie Mama.« Kasienka geht allein zu ihrem Tata. Sie sieht, dass er Frau und Kind hat, dass er nicht wieder zu ihnen zurückkommen wird ...

Voller Konflikte und dabei vollkommen glaubhaft ist das Buch von Sarah Crossan. Es ist für Leser von zwölf Jahren an gedacht und handelt von menschlicher Stärke, auch wenn wir Kasienka lange Zeit schwach erleben, unglücklich, einsam, voller Zweifel an sich selbst. Sie spürt das schmerzlich, aber vergrübelt sich nicht darüber, jung wie sie ist, muss sie vorwärts gehen.

Und in diesem Vorwärtsgehen ergeben sich Möglichkeiten zu Veränderungen. William aus der siebenten Klasse bewundert sie, wie gut sie schwimmt. Und er sagt etwas sehr Kluges: Nicht, indem sie gegen sie kämpft, würde sie sich am besten gegen die Mädchen zur Wehr setzen, die sie quälen wollen, sondern indem sie glücklich ist.

»Vorwärtskommen im Wasser klappt nur, wenn ich mich entspan-ne ... Ich muss Vertrauen in mich haben.« Die Erfahrung beim Schwimmen kann als Lebensweisheit gelten. Nein, mit einem billigen Happy End will uns die Autorin nicht beruhigen. Der Vater kommt nicht zurück und Kasienka wird nicht bei ihm wohnen, obwohl seine neue Frau sie einlädt. Die Mutter wird noch an ihrer Trauer zu tragen haben, aber eines Abends zieht sie ihr gelbes Seidenkleid an. Da führt Kanoro sie in ein Restaurant, denn er hat eine Stelle in London bekommen, als Kinderarzt. »Normalerweise kommen Leute zurück, Mama, sage ich, und sie nickt ...«

Sarah Crossan: Die Sprache des Wassers. Aus dem Englischen von Cordula Setsman. Verlag.Mixtvision. 228 S., Leinen, 13,90 €.

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