Werbung

Heckenschützen als Honoratioren

Dragan Velikic verzweifelt an Serbien

  • Uwe Stolzmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Er hat eine unstete Biographie. Reisen prägten sein Leben, das Thema »Reisen« prägt auch seine Bücher. In der Milošević-Ära war der Serbe Dragan Velikić, Jahrgang 1953, eine Stimme der Opposition. 1999 ging er von Belgrad nach Wien und Budapest, ab 2005 war er ein paar Jahre Serbiens Botschafter in Österreich. Gleichsam unterwegs entstanden etliche große Texte, Romane, die einander ähnlich sind - in Handlung, Stoff und Stil. Nun lebt Velikić wieder in Belgrad, doch seine Figuren schickt er weiter in die Ferne.

Die Fabeln seiner Bücher sind meist kurz und blass. Dennoch bieten diese Bücher viel Lesevergnügen. Denn die Fabeln werden zum Auslöser für kluge Reflexionen - über den Zweiten Weltkrieg, das Erbe Jugoslawiens und Serbiens Hybris; über den Einfluss der großen Geschichte auf unsere kleinen Geschichten; über die Familienhistorie als Labyrinth; über Lust und Leid im ziellosen Unterwegs.

Der neue Roman trägt das Reisen schon im Titel. »Bonavia«, Guten Weg! Die Handlung geriet erneut recht schmal - ein Bericht über die Wege dreier Belgrader: Marko, Marija, Kristina. Marko hat beste geistige Gaben, scheitert aber an seiner Mission, ein Schriftsteller zu werden. Die schöne Marija, Markos Frau, ist eine Traumtänzerin; nach sieben Jahren an Markos Seite hat sie genug von diesem Eigenbrötler. Die Biologin Kristina, einst Marijas Freundin in Belgrad, lebt seit Jahren in den USA.

Wohin sind die Figuren unterwegs? Marko flieht vor sich selbst zum ewig abwesenden Vater nach Wien. Marija folgt ihrem Marko. Kristina kommt wegen eines Kongresses zur selben Zeit in die Stadt. In einem kleinen Wiener Hotel kreuzen sich die Wege der Figuren. Kristina bricht zusammen und stirbt, Marija kommt zur Beerdigung.

Fast lustlos hat Velikić den Plot hingeworfen, hat lustlos die Protagonisten gezeichnet, nur um wieder Humus zu haben für seine ewigen Themen. Er entwirft komplexe Familienchroniken. Er skizziert die Lebensentwürfe seiner Landsleute über Generationen, ihre Hoffnungen, Ansprüche, Lügen.

Er geht mit alten Kommunisten ins Gericht wie auch mit Serbiens neuer Elite: Kristina empört sich über Massenmörder, die plötzlich Honoratioren wurden. »Heckenschützen sind wieder ruhige, gewöhnliche Bürger. In den Kammern ihrer Seelen liegen die nicht entwickelten Negative ihrer Verbrechen.«

Im neuen Serbien gibt es weiterhin politische Morde, es gibt Hinterhalte, bestellte Gerichtsurteile - Velikić nennt die Melange den »Eintopf« der serbischen Politszene. »Ein halbes Jahrhundert kommunistischer Brüderlichkeit wurde von Mafiaclans beerbt.«

Nicht jeder mag in solch einem Land auf ewig leben. Nein, Serbien ist kein guter Ort für Velikićs Figuren, und deshalb sind sie rastlos unterwegs, als Bahnschaffner oder Emigranten. Und der Westen, Wien? Scheint für Velikić ein besserer, aber auch kein wirklich guter Ort zu sein, eine Stadt der Spießer und Pedanten. »Die Bürokratie hat sich in die Gene der Österreicher eingeschrieben.«

»Bonavia« ist eher Essay als Roman; ein Essay mit Brüchen, thematisch überfrachtet, aber stilistisch prägnant. Ein eleganter Text. Nach 300 Seiten voller Reisen, nach einem weiteren Bruch, als heftig und unmotiviert eine gänzlich neue Story beginnt, lesen wir erstmals jenes Wort, das Velikić für den Titel wählte.

Plötzlich ist der Autor weit weg von Marko, Marija, Kristina: Hier, am Ende des Romans, erzählt er die Geschichte der eigenen Eltern. Erzählt auf anrührende Weise von seiner Mutter Ljubica, einsam und nicht mehr ganz frisch, und von einem jungen Marineoffizier namens Vojislav Velikić. Erzählt, wie Ljubica 1952 ihrem untreuen, flüchtigen Geliebten hinterherreist, ins Städtchen Rijeka an der Adria. In einem Hotel nicht weit vom Meer haben sie einander geliebt, die Ljubica und der Vojislav, da war Klein-Dragan, Dragan Velikić, schon unterwegs.

Es war ein gutes Hotel. Sein Name: »Bonavia«.

Dragan Velikić: Bonavia. Roman. Aus dem Serbischen von Brigitte Döbert. Hanser Berlin. 336 S., geb., 19,90 €.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal