Baulobby bestimmt Verkehrspolitik
Experten und Kritiker fordern Transparenz, Bürgernähe und öffentliche Kontrolle der Bahn
Anfang 1994 waren Bundesbahn (West) und Reichsbahn (Ost) zur privatrechtlichen Deutschen Bahn AG verschmolzen worden. Wenig später hatten Bahnmanager und Politik erstmals Pläne für das Immobilien- und Tunnelbahnhofprojekt Stuttgart 21 (S21) verkündet. Beides stehe in engem Zusammenhang, sagte Werner Sauerbon vom S21-Aktionsbündnis auf der Konferenz »KOPFmachen in der Bahnpolitik« am Wochenende in der Schwabenmetropole Stuttgart. Eingeladen hatten das Bündnis »Bahn für Alle«, die lokale Gemeinderatsfraktion SÖS und LINKE sowie das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, um über »20 Jahre Bahnreform und 20 Jahre Stuttgart 21« zu diskutieren. »Die Bahnreform hat ein Konstrukt geschaffen, das eine effektive demokratische Steuerung verhindert und das Einfallstor für Einzelinteressen von Baulobby, Investmentbanken und Autoindustrie öffnet«, so Sauerbon. S21 sei »der sichtbarste Beweis einer in der zentralen Konfiguration gescheiterten Bahnreform«. Dass es »ausschließlich um ein Immobilienprojekt« gehe, betonte auch der Stuttgarter Lokalredakteur Joe Bauer: »Das Bauvolumen entspricht dem Wiederaufbau von Beirut und der Neugestaltung von Ost-Berlin ab 1990.« S21 sei »auch mit einer kritischen Begleitung nicht reformierbar«, so Gemeinderat Tom Adler (LINKE).
Die Konferenz schloss sich am Samstag einer Demonstration von S21-Gegnern an, bei der sich Redner zuversichtlich zeigten, das anlaufende milliardenschwere Projekt noch aufhalten zu können. »Wir werden weiter demonstrieren, auch wenn es einigen nicht gefällt«, rief der frühere Stuttgarter Bahnhofsvorsteher Egon Hopfenzitz den Demonstranten zu. Er beschrieb am Beispiel seiner früheren Dienststelle die Aufspaltung der Bahn in separate Töchter. So seien 1000 Stuttgarter Zugbegleiter, Rangierer, Fahrdienstleiter, Verwaltungs- und Servicekräfte in verschiedenen Firmen gelandet, die mitunter gegeneinander arbeiteten. »Wo früher ein Bahnhofsvorsteher zu bestimmen hatte, entscheiden heute sieben Regionalabteilungsleiter, und dies nicht immer im gemeinsamen Interesse.« Ob ein solches Wirrwarr oder gar noch mehr Konkurrenz die Effizienz des Bahnverkehrs steigern könnten, blieb in Podiumsdiskussionen und Arbeitskreisen umstritten. So brach der Privatbahnmanager Hans Leister eine Lanze für mehr Wettbewerb im europaweiten Schienengüterverkehr. Demgegenüber zog der Eisenbahningenieur Hans-Dietrich Springhorn von der Initiative Bahn von unten eine negative Bilanz der Liberalisierung: »Das freie Spiel der Kräfte geht in die Hose.« Schließlich habe gerade der Wettbewerb zur Konzentration auf profitablere Ganzzüge geführt und den regionalen und Einzelwagenverkehr untergraben. Wettbewerb werde auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen.
Dass heute 5000 Führungskräfte üppige Boni für Personalabbau, Druck auf Beschäftigte und bewusste Inkaufnahme von Verschleiß bekämen, sei Ausdruck einer »völlig verkehrten Unternehmenskultur«, bemängelte Karl-Dietrich Bodack von der Expertengruppe »Bürgerbahn statt Börsenbahn«. Massiven Kahlschlag bei Nacht- und Autoreisezügen beklagte Joachim Holstein vom Betriebsrat der DB-Tochter ERS. Statt Investitionen fahre das Management auf Verschleiß und betreibe die Verlagerung der Nachtverkehre von der Schiene auf die Straße, so der Gewerkschafter. Statt Schrumpfung sei ein europaweiter Ausbau des Nachtzugangebots notwendig.
»Schon vor 1994 ließ man die Bahn am ausgestreckten Arm verhungern«, erklärte der Trierer Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim. Die Konzentration auf wenige Großprojekte wie S21 schade dem Schienenverkehr bundesweit. Monheim plädierte für eine Flächenbahn mit vielen kleinen Baustellen und neue Modelle von gemischtem Personen- und Güterverkehr. Dass die junge Generation weniger Wert auf Führerschein und Auto lege, sei für die Bahn eine Chance. »Die Menschen müssen abgeholt werden.«
Der Kongress verabschiedete ein »Stuttgarter Bahnmanifest«, das als »Lehren aus dem Fiasko von Stuttgart 21« und der ausgebliebenen Verkehrswende seit 1994 eine Abkehr von »Renditefixierung und Auslieferung an Lobbyinteressen und undurchsichtige Machtkalküle« verlangt. Für eine solche »Reform der Bahnreform« seien Transparenz, Bürgernähe und öffentliche Kontrolle ebenso unabdingbar wie eine endgültiger Verzicht auf Börsenpläne und andere Formen von Privatisierung und Teilverkäufen.
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