Die Nachrichtenmaschine

Unternehmer wollen den Roboterjournalismus in Deutschland etablieren

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Für einen Unternehmer gibt es im Kapitalismus fast nichts schöneres als die Automatisierung der Produktion. Statt eines nach Lohn, Urlaub und anderen menschlichen Bedürfnissen lechzenden Angestellten erledigt ein metallisch schimmerndes Etwas jene Tätigkeiten, für die man anfangs noch eine Heerschar an Arbeitskräften beschäftigte. Die Angst vor der Verdrängung durch eine seelenlose Maschine ist genauso alt wie die Automatisierung selbst. Während der Industriellen Revolution kam nicht grundlos die Bewegung der Maschinenstürmer auf. Arbeiter, die fürchteten, ihre schlecht bezahlten Jobs könnten von einem seelenlosen Gegenstand übernommen werden, dessen Anschaffungskosten sich nach kurzer Zeit rechnete und dessen Wartungskosten geringer sind als Lohn und Brot für die Arbeiterschaft.

Die Ängste erwiesen sich teilweise als berechtigt. Am Ende waren aber nicht die Erfinder der neuen Maschinen die bösen Akteure, sondern jene, die den technologischen Fortschritt und den daraus gewonnenen Mehrwert bis heute nur zögerlich und im höchsten Maße ungleich mit der Weltbevölkerung teilen wollen.

Auch Journalisten kennen diese Existenzängste. Redaktionen werden ausgedünnt, immer mehr Aufgaben von immer weniger Kollegen geleistet. Von Computerstürmerei ist der Berufsstand allerdings noch weit entfernt. Im Gegenteil, die schreibende Zunft profitierte in ihrem Arbeitsalltag auch von der Erfindung der Rechnertechnik und einige Jahre später des Internets, dessen weltweite Verbreitung wiederum immer neue Möglichkeiten der Informationsverbreitung und -verarbeitung bietet. Letztere entwickelte sich inzwischen so weit, dass eine neue Innovation - »the next big thing« - in den Startlöchern steht, wie die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel im »Handelsblatt« verkündet. Seit der vor einigen Wochen erfolgten Ankündigung von Cord Dreyer, dem früheren Chefredakteur der Nachrichtenagentur dapd, den maschinengenerierten Journalismus mit der neuen Firma Text-on nach Deutschland zu holen, macht sich eine schwer greifbare Mischung aus Angst und Irritation in einigen Redaktionsstuben breit.

Die Entwickler und Befürworter des Roboterjournalismus beruhigen: Keine Software werde Journalisten arbeitslos machen, sondern im Gegenteil deren Alltag erleichtern, indem die Programme jene Aufgaben übernehmen, die für einen menschlichen Kollegen eher lästige Routine seien. In erster Linie meinen die Befürworter damit Meldungen und kurze Berichte, deren Aufbau festen Regeln folgt.

Was besonders unter Agenturjournalisten Angstschweiß auslösen dürfte, haben US-Firmen wie Narrative Science und Automated Insights zum Geschäftsmodell gemacht: Die Entwickler analysierten, wie sich nachrichtliche Meldungen in eine Art Baukastenprinzip zerlegen lassen, da sich viele Formulierungen, Wörter und Satzkonstruktionen ohnehin ständig wiederholen. Ein Programm muss nun vereinfacht gesagt nichts weiter tun, als sich aus Datenbanken die notwendigen Informationen für eine Meldung zu besorgen und mit Hilfe der gespeicherten Bausteinen erst Sätze und schließlich einen zusammenhängenden Text zu generieren.

Wofür ein Journalist im besten Fall Minuten benötigt, schafft die Rechentechnik nun in Sekundenbruchteilen. In den USA wird diese Technik bereits seit Jahren erprobt und findet insbesondere in der Sport- und Finanzmarktberichterstattung Anwendung. Beide Bereiche verbindet, das ohnehin eine Flut an Datensätzen anfällt. Einem Computer ist es egal, ob er die Spielanteile einer Mannschaft auf dem Feld erfasst oder die Aktienbewegungen auf den Finanzmärkten.

Das Wirtschaftsmagazin »Forbes« lässt heute bereits Teile seiner Meldungen aus der Finanzwelt in einem Blog automatisiert erstellen, was zu einer düsteren Zukunftsvision verleitet. Die Berichterstattung über ein heute bereits von Computern auf Grundlage von Algorithmen bestimmtes Finanzwesen könnte schon bald von selbiger Automatisierungswelle ergriffen werden. Vollends absurd wird diese Vorstellung, wenn man weiß, dass die seelenlosen Finanzanalysten aus Bits und Bytes für ihre Investmententscheidungen auch das Internet nach Berichten über die Märkte abscannen, also zwangsläufig auf die Berichte ihrer Brüder ohne Geist und Verstand treffen. Es fragt sich, ob die Gesellschaft solch eine Technik überhaupt will.

Was solche Computerprogramme längst können, will die deutsche Kommunikationsagentur aexea demnächst mit einem voll automatisierten Sportportal beweisen. Das Unternehmen verspricht dabei nicht weniger als »leserorientierte, verständliche und lesenswerte Texte«. Besonders attraktiv sei das Angebot deshalb, weil Texte für jede noch so kleine Gruppe angeboten werden können. Zu jedem Regionalligaspiel wären etwa künftig Spielberichte denkbar, ohne dass auch nur ein Sportjournalist am Spielfeldrand stehen müsste.

An seine Grenzen gerät der Roboterjournalismus überall dort, wo Informationen nicht einfach in Datenbanken zusammenfließen. Ein Programm kann vielleicht erfassen, dass ein Ereignis stattfand und wer daran teilnahm, doch über die vor Ort vermittelten Gefühle, Reaktionen und Ansichten dieser Menschen weiß eine Software nichts. Roboterjournalismus kann vielleicht die virtuellen Spuren erfassen, scheitert aber in dem Moment, wo es um nicht berechenbares, individuelles Verhalten geht.

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