Tunesische Terroristen im Angriff

Bevölkerung erwartet von Regierung klare Antworten nach Attacke auf Haus des Innenministers

  • Astrid Schäfers
  • Lesedauer: 4 Min.
Beim Angriff auf ein Haus des tunesischen Innenministers sind vier Polizisten getötet worden. Es war der erste Anschlag auf ein Regierungsmitglied seit dem Umsturz vor drei Jahren.

»Wir erwarten ehrliche Erklärungen von den Verantwortlichen in der Regierung. Die Tunesier können nicht durch willkürliche Festnahmen von Verdächtigen und Ausflüchte besänftigt werden«, forderte der Journalist Sofiane Ben Farhat vergangene Woche in der tunesischen Tageszeitung »La Presse«. Das war eine Reaktion auf den Angriff von Terroristen auf das Haus von Innenminister Lotfi Ben Jeddou in der nordwesttunesischen Stadt Kasserine.

Bei dem Anschlag wurden vier junge Soldaten getötet und zwei verletzt. Hinter den Mauern des privaten Wohnhauses des Innenministers in Kasserine blieb die Familie unversehrt. Der Minister hielt sich gerade in Tunis auf. Die Bevölkerung von Kasserine steht unter Schock. Die Regierung in Tunis scheint ratlos zu sein. Die Bergregion um Kasserine nahe dem Berg Chaambi und der algerischen Grenze ist schon seit der Revolution von Januar 2011 Nährboden für Extremisten, die dort 2013 Anschläge auf tunesische Soldaten verübten.

Unter den elf vermummten Angreifern, die »Allahu Akbar« - »Gott ist groß!« - riefen, bevor sie das Feuer auf die Bewacher des Hauses der Familie des Innenministers eröffneten, sollen auch Terroristen aus Algerien gewesen zu sein. Drei der fünf Tatverdächtigen, die am Tag danach von der Polizei festgenommen wurden, kamen am Donnerstag wieder frei. Weiterhin in Untersuchungshaft befinden sich Dschihadist mit einer entsprechenden Vorgeschichte. Einer soll an den Kämpfen in Mali teilgenommen haben, ein anderer an dem Angriff auf eine Pa-trouille von Soldaten am Berg Chaambi im August 2013 beteiligt gewesen sein.

»Die Terroristen sind vom Berg Salloum nach Kasserine vorgedrungen«, erklärte Mohamed Aroui, Sprecher des Innenministers. Die Region um den Salloum war Ende April zur Militärzone erklärt worden. Das sollte helfen, die djihadistischen Gruppen unter Kontrolle zu bringen. »Der Angriff auf mein Haus ist ein Racheakt nach einer Reihe von Erfolgen im Anti-Terror-Kampf«, zeigte sich der Innenminister überzeugt. Wenige Tage vor dem Angriff war ein verdächtiger Dschihadist in der Region von Kasserine festgenommen worden. Im Süden des Landes hatten tunesische Sicherheitskräfte außerdem drei Männer erschossen und Sprengstoff beschlagnahmt. Es soll sich dem Innenminister zufolge um Libyer und Tunesier gehandelt haben - sie wollten angeblich Attentate in Touristengebieten, industriellen Zentren sowie auf prominente Personen verüben.

2013 waren zwei oppositionelle Politiker und insgesamt 20 Soldaten bei Angriffen extremistischer Gruppen im Nordwesten Tunesiens getötet worden. Die Sicherheitslage hatte sich seit der Ablösung der Übergangsregierung der islamistischen Partei Ennahda durch die von Übergangspremierminister Mehdi Jomaa geführte Technokratenregierung im Januar zunächst beruhigt. Tunesien befand sich aber weiter in einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Für die Bevölkerung schlägt sich das vor allem in schmerzhaften Preiserhöhungen nieder. Aber es kamen in den ersten fünf Monaten des Jahres wieder mehr Touristen als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Auch scheinen die für Ende des Jahres vorgesehenen Wahlen für viele Tunesier eine offenbar hoffnungsvolle Perspektive zu sein.

Wie Premierminister Jomaa erklärte, sei es den Terroristen darum gegangen, den Übergang zu einem demokratischen Staat zum Scheitern zu bringen und damit auch die aktuelle Staatsführung. Allerdings lassen sich Staat und »Extremisten« kaum so einfach voneinander trennen. Innenminister Ben Jeddou selbst hatte im September 2013 gegenüber der Tageszeitung »Akher Khabar« erklärt, sein Ministerium würde sowohl von der Partei Ennahda als auch der Nachfolgerin von Expräsident Ben Alis Staatspartei, der »Nidaa Tounes«, unterwandert. Außerdem hätten Sicherheitskräfte des Ministeriums einen Überwachungsplan für sein eigenes und das Haus des Verteidigungsministers gefunden.

Mehdi Taje, Geopolitikwissenschaftler und Terrorismusspezialist, hält es für möglich, dass sich bei den Angreifern auf Ben Jeddous Haus um radikale Islamisten handelt, die das Innenministeriums infiltrieren und nicht den Technokraten überlassen wollen. Taje, der seit 2005 das Beratungsunternehmen »Global Pros᠆pect Intelligence« in Tunis leitet und Regierungen in Krisenprävention und Terrorismusbekämpfung berät, rechnet mit weiteren terroristischen Akten in Tunesien. »Seit dem Regierungsantritt von Jomaa ist die Terrorismusbekämpfung zur Priorität geworden, aber die Terroristen haben genug Zeit gehabt, ihre Angriffe vorzubereiten«, erklärte Taje gegenüber der Pariser Zeitung »Le Figaro«.

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