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Der Mörder von Brüssel schweigt

Belgische Behörden kündigen Auslieferungsantrag an Frankreich für den mutmaßlichen Attentäter an

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Wie Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve am Montag mitteilte, sind in der Pariser Region und im Landessüden vier Mitglieder einer terrorbereiten islamistischen Gruppierung verhaftet worden.

Innenminister Cazeneuve sprach am Montag von einer »umfassenden Jagd« der Sicherheitskräfte, die »Terroristen keine Chance lässt«. Damit wollte er offensichtlich den Eindruck zerstreuen, dass Mehdi Nemmouche, der mutmaßliche dreifache Mörder im Jüdischen Museum von Brüssel, der Polizei nur durch Zufall in die Hände gefallen sei. Wie man erst am Sonntag bekannt gab, wurde der 29-jährige Franzose bereits am vergangenen Freitag in Marseille bei der Ankunft eines Busses aus Amsterdam und Brüssel durch Zöllner kontrolliert, die auf der Suche nach Drogen waren. Bei der Abgleichung seiner Personalien wurde festgestellt, dass Nemmouche europaweit wegen der Teilnahme am Bürgerkrieg in Syrien auf Seiten der radikal-islamistischen Organisation Islamischer Staat in Irak und Syrien (ISIS) zur Fahndung ausgeschrieben ist.

Er wurde sofort verhaftet, nach Paris überführt und wird seitdem von der Abteilung Terrorbekämpfung des Inlandgeheimdienstes DGSI in Levallois-Perret bei Paris verhört. Dort machte er aber bislang nur Angaben zur Person und hat den Mord in Brüssel nicht zugegeben. Der 1985 im nordfranzösischen Tourcoing geborene Nemmouche stammt aus zerrütteten Verhältnissen, wuchs in Pflegefamilien auf, wurde früh kriminell und ist sieben Mal vorbestraft. Während seiner letzten Haftstrafe 2007-2012, die er in den Gefängnissen von Grasse, Salon-de-Provence und Lille verbüßte, wurde er unter dem Einfluss anderer Häftlinge zum radikalen Islamisten. Bis 2011, so versichert seine ehemalige Verteidigerin Soulifa Badaoui, waren weder er noch seine Familienangehörigen aktive Muslime oder ausgesprochen gläubig. Dieser radikale Wandel müsse erst 2011/12 im Gefängnis von Lille erfolgt sein. Nach seiner Haftentlassung im Dezember 2012 tauchte Nemmouche im Ausland unter.

Er hielt sich zunächst in Großbritannien, in Libanon und in der Türkei auf und ging 2013 nach Syrien, wo er den bisherigen Ermittlungen zufolge aktiv am Bürgerkrieg auf Seiten der ISIS teilnahm, die nach eigenem Verständnis die Nachfolge von Al Quaida angetreten hat. Aus noch nicht geklärten Gründen kehrte Nemmouche 2014 nach Europa zurück, wo er im März in Deutschland geortet und umgehend in die Schengen-Fahndungsliste aufgenommen wurde. Trotzdem konnte er sich nach Brüssel begeben und seine offensichtlich langfristig und detailliert geplante Mordtat verüben.

Darauf lassen die Videoaufnahmen schließen, die ihn völlig ruhig und entschlossen zeigen. Die Pistole, die Maschinenpistole vom Typ Kalaschnikow und die Mütze mit langem Sonnenschutz, die gleichfalls auf den Videoaufnahmen zu sehen waren, sowie eine ISIS-Fahne fanden die Zöllner in Marseille im Gepäck von Nemmouche. Die ballistischen Untersuchungen waren Montagmittag allerdings noch nicht abgeschlossen. Derweil haben die Brüsseler Behörden angekündigt, dass sie ein Auslieferungsersuchen an Frankreich stellen werden, da die Mordtat in Belgien verübt worden sei und auch dort geahndet werden solle.

Die Sicherheitsbehörden und die Justiz Frankreichs, die ein eigenes Ermittlungsverfahren eingeleitet hatten, weil es sich sowohl bei dem mutmaßlichen Täter als auch bei einem seiner Opfer um französische Staatsangehörige handelt, sind auf den Wunsch »positiv eingestellt«. Sie betreiben daher die eigenen Ermittlungen mit größtem Nachdruck, um bis zur Überstellung ein möglichst komplettes Dossier zusammenstellen und mitgeben zu können.

In diesem Zusammenhang hat Innenminister Cazeneuve betont, dass Frankreich alles tun werde, um »terrorbereite Islamisten zu ermitteln und zu überwachen, damit sie rechtzeitig daran gehindert werden können, aktiv zu werden«. Er verwies auf die im April erlassene Verordnung, die verhindern soll, dass verblendete junge Franzosen nach Syrien gehen und dort am Bürgerkrieg teilnehmen. Nach Angaben des Ministers gibt es über 700 französische Islamisten, die gegenwärtig in Syrien kämpfen oder die bereits zurück sind. Sie stellten eine potenzielle Gefahr dar, betonte der Minister und erinnerte daran, dass Frankreich das Land in Europa mit der größten Zahl von Muslimen als auch von Juden sei.

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