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Verfaulen bei lebendigem Kastanienstamm

Ein Bakterium bedroht den Bestand der Bäume in Deutschland

  • Frank Christiansen, Düsseldorf
  • Lesedauer: 3 Min.
Vor sieben Jahren haben Wissenschaftler erstmals in Deutschland ein tückisches Bakterium entdeckt, das Rosskastanien befällt. Inzwischen tötet es Bäume bundesweit.

Erst beginnen sie zu bluten, dann werden die Wunden in der Rinde von Pilzen befallen und schließlich geht es schnell: Eben noch prächtige Rosskastanien verfaulen bei lebendigem Stamm. Bevor ihr morsches Geäst Menschen erschlägt, müssen sie gefällt werden. Lauschige Plätze in der Stadt werden kahl, Alleen löchrig. Der dramatische Verfall der Bäume ist das Werk von Pseudomonas syringae pv. aesculi. Das gefräßige Bakterium mit dem sperrigen Namen, 2007 erstmals im Westen Deutschlands am Niederrhein festgestellt, hat sich inzwischen zur bundesweiten Plage gemausert. Aus den Niederlanden kommend ist es unaufhaltsam gen Osten bis nach Greifswald, Wolgast und Usedom vorgedrungen. »Es betrifft inzwischen ganz Deutschland«, sagt Monika Heupel, Pflanzenschutz-Expertin der Landwirtschaftskammer NRW.

Sind es etwa in Hamburg noch einzelne Bäume des Kastanienbestandes, wird am Niederrhein seit etwa zwei Jahren sichtbar, wozu das tückische, wenn auch für Menschen ungefährliche Bakterium in der Lage ist: Ganze Straßenzüge und denkmalgeschützte Alleen sind ihm in Nordrhein-Westfalen inzwischen zum Opfer gefallen. »Das ist in NRW schon sehr heftig«, sagt Oliver Gaiser vom Hamburger Institut für Baumpflege, das bundesweit Proben mit Bakterienschleim zusammenträgt.

Sollten nicht spezielle klimatische Gründe das Bakterium in Nordrhein-Westfalen begünstigen, ist es ein Vorgeschmack auf das, was dem Rest der Republik noch blüht - oder eben bald nicht mehr blüht. Allein in Krefeld mussten bislang 454 erkrankte Kastanien gefällt werden - jede siebte in der Stadt, berichtet ein Sprecher.

»In Krefeld hatten wir heftige Probleme, in Duisburg und in Viersen auch«, bestätigt Doris Törkel, Leiterin des Düsseldorfer Gartenamtes. Dort hat man Konsequenzen gezogen: »An befallenen Standorten pflanzen wir keine Kastanien mehr.« Jüngste Hiobsbotschaft: Das Schicksal einer prächtigen Kastanienallee am Düsseldorfer Schloss Heltorf, einem beliebten Ausflugsziel, scheint wegen massiven Bakterienbefalls besiegelt. In den Baumreihen klaffen bereits Lücken, und kahle Stümpfe stehen ohne Krone in der Landschaft.

Werden Kinder in Deutschland beim herbstlichen Basteln bald auf die dunkelbraun-glänzenden Kastanien verzichten müssen? »Ich habe schon die Befürchtung, dass in unseren Städten einige Lücken entstehen werden«, sagt Gaiser. Forstwirtschaftlich spielt das Kastaniensterben dagegen keine Rolle. Die Rosskastanie, vor etwa 300 Jahren nach Westeuropa gelangt, ist ein Park- und Alleebaum.

Ist er einmal befallen, gibt es bislang kein Gegenmittel. Nur in seltenen Fällen hat er genügend eigene Abwehrkraft und kann dem Bakterium trotzen. Dann schließen sich die blutenden Wunden in der Rinde wieder. Das Bakterium sei bereits in den 1970er Jahren in Indien registriert worden, befalle dort aber nur die Blätter, berichtet Gaiser. Nach einer gewissen Stagnation habe sich der Befall im vergangenen Jahr leider wieder beschleunigt, sagt Bernhard Rüb, Sprecher der Landwirtschaftskammer NRW. Offenbar begünstige Feuchtigkeit die Ausbreitung von Pseudomonas. Wie genau sich das Bakterium ausbreitet, etwa durch Insekten oder Vögel, ist dabei noch unklar. Einiges spricht für den Wind. dpa/nd

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