Sieben Tage, sieben Nächte

Wolfgang Hübner über Fußball, die WM in Brasilien und über Nationalismus

  • Lesedauer: 2 Min.

Immer, wenn der Nationalstolz aufwallt und eine Pflichteinheit Patriotismus anordnet, wird geflaggt. Naht der Anpfiff zu einem großen Fußballturnier, dann zeigen die Deutschen Flagge, dass es nur so knattert. Wählen gehen sie nicht so gern, obwohl auch das keine große Mühe darstellt und zu nichts verpflichtet. Aber die Fahne raushängen lassen und einen auf Schwarz-Rot-Gold machen, das ja. Und zwar mit Inbrunst.

Es geht ja gerade wieder los. Noch ist sind es ein paar Tage, bis in Brasilien der WM-Ball rollt, aber in Deutschland bricht schon der Wimpelwahn aus. Natürlich ist es kein Zufall, dass vorzugsweise Personenkraftwagen national dekoriert werden, denn Fußball und Autofahren, das sind die großen Hobbys des Kulturvolks. Inzwischen gibt es kaum noch ein Autoteil, das nicht patriotisch verhüllt werden kann; der entsprechende Zweig der Konsumgüterindustrie schnurrt wie ein Uhrwerk und stellt pünktlich zur WM tonnenweise Schwarzrotgold-Klimbim zur Verfügung, den die Leute kaufen, als wäre es ein sofort wirkendes Potenzmittel. Angefangen hatte es mit ein paar harmlosen Fähnchen, aber das ist lange her. Inzwischen denken sich die Autohersteller immer neue Wagenteile aus, die nur angeblich mit Straßenlage, Fahrkomfort oder Verkehrssicherheit zu tun haben, in Wahrheit aber vollkommen überflüssig sind bis auf einen Zweck: als Halterung für Deutschlandreklame zu dienen. Der Dienstwagen des Bundespräsidenten ist dagegen eine lahme Ente. Gibt es eigentlich schon Ampeln in Schwarz-Rot-Gold? Wenn die Leute sonst auch keinen Finger fürs Vaterland krumm machen, aber Nationalfarbe bekennen, das tun sie mit Begeisterung.

Und wenn es nur die Autos wären, es wäre ja noch zu ertragen. Aber nein, es gibt WM-Shirts, WM-Perücken, WM-Fruchttorte, WM-Feuerzeuge, meterhohe WM-Hüte aus Filz , WM-Bettwäsche (ja, auch im Schlafzimmer wird Flagge gezeigt). Demnächst vielleicht innovative Accessoires für die sekundären Geschlechtsmerkmale. Alles verspricht ein Geschäft, alles wird gekauft. Wahrscheinlich könnte man, wenn »unsere Jungs« erst mal ein, zwei Spiele gewonnen haben, sogar Hundescheiße schwarz-rot-golden lackieren, und es würde jemand Geld dafür hinlegen.

Wohin führt das noch? Sommermärchenleugnung und Fanmeilenignoranz werden Straftatbestände. Public-Viewing-Verweigerer müssen sich vor einer Kommission rechtfertigen, die darüber befindet, ob plausible ethisch-moralische oder gesundheitliche Gründe (Fußball-Allergie) für die Abstinenz vorliegen und im Einzelfall ersatzweise zehn Stunden »Verstehen Sie Spaß?« verordnet werden können. Deutscher Humor, das wäre hart. Dann vielleicht doch ein klitzekleines Fähnchen ans Auto. wh

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