Wenn die Front durch die Familie verläuft

Parteizwist bei französischen Rechtsradikalen / Noch keine neue antieuropäische Fraktion im EU-Parlament

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
In der rechtsradikalen Front National ist ein Konflikt zwischen Vater und Tochter ausgebrochen, der über die künftige Ausrichtung der Partei entscheiden dürfte.

Sie ist die Siegerin der Europawahl in Frankreich und drauf und dran, eine rechtsextreme Fraktion im EU-Parlament zusammenzubekommen. Für Marine Le Pen könnte es nicht besser laufen, grätschte nicht ausgerechnet ihr Vater Jean-Marie - Mitbegründer und Ehrenvorsitzender der Front National (FN) - dazwischen. Mit einem Kommentar auf der Internetseite der Partei löste er am Wochenende einen Streit um die ideologischen Grundlagen aus und warf damit die entscheidende Frage auf: Wird sich die FN weiter auf Provokationen beschränken und ein extremer Außenseiter in der politischen Landschaft bleiben oder sich »normalisieren« und so bündnis- und regierungsfähig werden?

Jean-Marie Le Pen hatte unter anderem erklärt, der Sänger Patrick Bruel, der Jude und engagierter Gegner der FN ist, werde »bei der nächsten Ofenladung mit drankommen«. Marine und andere Parteiangehörige verurteilten das umgehend und scharf. Als sich der Vater uneinsichtig zeigte, ließ die Tochter am Dienstag den Text von der Webpräsenz entfernen. Das war ein deutliches Zeichen dafür, dass Jean-Marie Le Pen nicht länger darauf vertrauen kann, aufgrund seiner Vergangenheit »unantastbar« zu sein. Der Schuldige selbst reagierte: Er sei »tief verletzt« und werde sich »nicht den Mund verbieten lassen«.

Grob antisemitische oder rassistische Äußerungen haben Tradition bei Jean-Marie Le Pen, der auch schon die Gaskammern von Auschwitz als »Detail der Geschichte« abgetan oder erklärt hat, Roma neigten »von Natur her zum Stehlen«. Seine Freunde entschuldigen das nur zu oft als »verbale Ausrutscher«. Doch in Wirklichkeit sind solche Ausfälle von ihm kühl kalkuliert, um wieder in die Medien zu kommen und seiner schwindenden Anhängerschaft wieder Aufschwung zu verschaffen. Der langjährige Vorsitzende hatte nie die Absicht, die demokratischen Spielregeln zu respektieren, Koalitionen einzugehen und irgendwann einmal mitzuregieren. Ihm reichte es immer, die demokratische Republik von rechtsaußen zu attackieren, zu provozieren und durch spektakuläre Erfolge wie beim ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl 2002 zu destabilisieren.

Tochter Marine, die nach harten innerparteilichen Kämpfen zwischen »Traditionalisten« und »Erneuerern« und nach einer Mitgliederbefragung im Januar 2011 den Parteivorsitz übernahm, fährt konsequent einen entgegengesetzten Kurs, der früher oder später in Ämter und Verantwortungen führen soll. Sie drängt bekennende Antisemiten und glatzköpfige Schlagertypen aus der Partei und »Hardliner« wie den langjährigen Vizepräsidenten Bruno Gollnisch an den Rand. Damit hat sie Erfolg innerhalb der Partei und bei Wahlen, was ihren ins Abseits geratenen Vater eifersüchtig macht.

Mit ihrem Minimalprogramm sucht Marine gegenwärtig auch eine Fraktion im EU-Parlament zusammen. Ihr Hauptverbündeter ist der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders von der Partij voor Vreijheit (PVV). Ihnen haben sich bereits die italienische Lega Nord, die Freiheitliche Partei Österreichs FPÖ und die belgische Vlaams Belang angeschlossen. Am Mittwoch wurde kurz verlautbart, die Fraktion sei komplett. Wenig später wiesen Sprecher des EU-Parlaments dies jedoch zurück. Es gebe noch »eine Reihe von Problemen«. Der Abgeordnete der litauischen Partei Ordnung und Justiz zögere noch. Für Unmut sorgen offenbar auch die umstrittenen Äußerungen des Vorsitzenden der polnischen Neuen Rechten, Janusz Korwein-Mikke. Der 72-jährige Verfechter der Todesstrafe fiel Medienberichten zufolge mit der Aussage auf, die EU sei ein »geistiges Geschöpf Adolf Hitlers«.

Für eine Fraktion werden 25 Abgeordnete aus sieben Staaten benötigt. Der Status bringt mehr Redezeiten im Plenum, Sitze in den Kommissionen sowie Finanzmittel für Mitarbeiter und ein Sekretariat mit sich. Die Sitzzahl ist momentan nicht das Problem - die genannten Parteien kommen zusammen auf 44 Mandate. Doch ob es ausgerechnet die Rechtsaußen nun schaffen, sich auf internationaler Ebene zu verbünden, ist nach wie vor fraglich.

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