Ohne Haftung und Mitbestimmung

Gewerkschaften kritisieren abenteuerliche EU-Pläne für neue Form der Ein-Personen-Gesellschaft

  • Jörn Boewe
  • Lesedauer: 3 Min.
Die EU-Kommission will Gründern das Gründen erleichtern. Erleichtert aber werden Umgehung der Mitbestimmung und Gründung von Briefkastenfirmen, sagen Kritiker.

Möglichst wenig Mitbestimmung, im Ernstfall praktisch keinerlei Haftung gegenüber Gläubigern: So stellt sich die Europäische Kommission eine »Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen« vor. Und so sieht es ihr Richtlinienvorschlag »über Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter« vor, gegen den die europäischen Gewerkschaftszentralen jetzt Sturm laufen.

Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) wies die Pläne auf seiner Exekutivtagung jüngst entschieden zurück, der DGB-Chef Reiner Hoffmann bezeichnete die Vorlage als »Freibrief die deutschen Mitbestimmungsgesetze zu umgehen«. Mit dem bereits Anfang April veröffentlichten Dokument COM (2014) 212 will die EU-Kommission eine neue Unternehmensform ermöglichen, die so genannte Ein-Personen-Gesellschaft, (»Societas Unius Personae«, SUP).

Anders als der Name vermuten lässt, handelt es sich dabei nicht um eine Personengesellschaft, bei der der Inhaber im Haftungsfall mit seinem Privatvermögen geradestehen muss, sondern um einen neuen Typ von Privatkapitalgesellschaften. Das Konzept besteht im Kern aus drei Punkten: Die Gesellschaft soll mit einer »Blitzgründung« online innerhalb von drei Tagen registriert werden können, das Haftungskapital wird dauerhaft auf einen symbolischen Euro beschränkt und sie soll das Recht zur »Sitzspaltung« haben. Damit könnte ein Unternehmen seine Verwaltungszentrale am Ort seiner realen Geschäftstätigkeit haben und zugleich den juristischen »Satzungssitz« in ein EU-Land mit möglichst niedrigen Mitbestimmungs- und Beschäftigtenrechten verlegen.

Auf diese Weise will die EU-Kommission nach eigenem Bekunden potenziellen Unternehmensgründern und insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen die Gründung von Gesellschaften im Ausland erleichtern, das »Unternehmertum fördern und unterstützen und mehr Wachstum, Innovation und Beschäftigung in der Union herbeiführen.« Insbesondere die »Sitzspaltung« ist den Gewerkschaften ein Dorn im Auge. Denn: »Nicht nur kleinere und mittlere Unternehmen, sondern auch große mitbestimmte Konzernunternehmen - zum Beispiel die als Ein-Personen-Gesellschaft firmierende Galeria Kaufhof.

Unternehmen könnten sich gezielt in einem Mitgliedstaat registrieren lassen, der geringe Anforderungen an das Wirtschafts- und Sozialsystem stellt. Selbst wenn sie ihre Geschäftstätigkeit in einem Land mit vergleichsweise hohem Schutzniveau, wie etwa in Deutschland, ausüben, wären sie rechtlich nicht an dort geltenden Vorgaben gebunden.

DGB und EGB sehen darin einen weiteren Schritt in einem «ruinösen Wettbewerb» um möglichst niedrige Steuer- und Sozialstandards. In Deutschland unterliegen Kapitalgesellschaften der gesetzlichen Unternehmensmitbestimmung, wenn sie mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigen. Sie müssen einen Aufsichtsrat bilden, in dem den Beschäftigten ein Drittel der Sitze zusteht. Ab 2000 Beschäftigten muss der Aufsichtsrat paritätisch besetzt werden.

Deutliche Worte fand auch Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU). «So fördert man nicht den Mittelstand, sondern die Entstehung zwielichtiger Briefkastengesellschaften», wetterte er in einer Stellungnahme unmittelbar nach Veröffentlichung der Brüsseler Pläne. Für den CSU-Politiker würden mit der Richtlinie «undurchsichtige Konstrukte» entstehen, die «die Seriosität des Geschäftsverkehrs gefährden», weil sie zum Missbrauch einladen. Bausback stört vor allem, dass die geplante «SUP» dauerhaft ohne Mindestkapital agieren können soll, zugleich aber die Haftung auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt ist. «Wer wird denn - noch dazu im internationalen Verkehr - einer Rechtsform vertrauen, die ihre Haftung in Höhe eines Euro verspricht?», so der Minister.

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