Stille über den Ruinen von Homs

In Syriens einstiger »Rebellenhochburg« schweigen endlich die Waffen

  • Karin Leukefeld, Homs
  • Lesedauer: 6 Min.
Stille liegt über der Altstadt von Homs. Die Rebellen sind abgezogen, an wenigen Kontrollpunkten stehen syrische Soldaten auf Posten. Nur noch Ruinen zeugen von einer unvorstellbaren Tragödie.

Zwei Jahre lang hatten sich tausende Rebellen in Straßen, Gassen, Häusern, Kirchen, Moscheen und in Tunneln unter der Altstadt von Homs verschanzt. Sie lieferten sich mit der syrischen Armee einen mörderischen Krieg um die einst drittgrößte Stadt des Landes, die mehr als eine Million Einwohner zählte. Die Regierungsarmee hatte einen Belagerungsring um die Kampfzone gezogen und Zivilisten und Aufständische gleichermaßen eingeschlossen. Monatelang war über den Abzug der zuletzt sechs verschiedenen Kampfverbände verhandelt worden. Am 8. Mai endlich war es so weit: Von Geistlichen und Zivilisten eines örtlichen Komitees begleitet, wurden die verbliebenen Kämpfer in Bussen nach Norden gebracht, wo sie von Verbündeten erwartet wurden. Im Gegenzug für die Einstellung des Kampfes war ihnen Amnestie zugesagt worden.

Nun schweigen die Waffen, es ist still geworden. Der Uhrenplatz, auf dem im Sommer 2011 Zehntausende Menschen friedlich demonstriert hatten, liegt verlassen. Räumtrupps haben Straßen, Gehwege und Grünanlagen von Glassplittern, Blindgängern und Schutt gesäubert, doch das Leben ist in die einst pulsierende Stadt noch nicht zurückgekehrt. Nur Vögel singen in Baumwipfeln, die von den Kämpfen nicht gefällt wurden. Am östlichen Rand des Platzes ragt ein Straßenkandelaber aus einem Rondell, auf halber Höhe erinnert eine Uhr an die französische Kolonialzeit. Von diesem Märtyrerplatz zweigen Straßen in verschiedene Viertel der Altstadt ab.

Stimmen klingen aus den Trümmern herüber, ein Reparaturtrupp arbeitet an der Wiederherstellung der Stromversorgung. Mit einer Handpumpe füllen die Männer Diesel aus Fässern in Plastikkanister, die durch aschebedeckte Gänge in das Hintere eines verbrannten Häuserblocks getragen werden müssen. Früher war das eine Geschäftszeile, erklärt Faruk Hishmet. Ein Lageplan aus der Provinzbehörde half, den Generator zu finden, der den Krieg in einem mit Stahltüren gesicherten Raum überstanden hat. Die große Anlage kann das Viertel vom Märtyrerplatz bis zur Al-Nuri-Moschee mit Strom versorgen, erläutert der Elektroingenieur. Zehn Reparaturteams, insgesamt 100 Arbeiter, seien mit der Wiederherstellung der Stromversorgung beschäftigt. Mindestens ein Jahr werden sie zu tun haben, glaubt Hishmet. »Die Zerstörung ist zu schwer.«

Im Herzen der Homser Altstadt sind die Straßen eng. Hier stehen die ältesten Kirchen des Mittleren Ostens in unmittelbarer Nachbarschaft alter Moscheen und Bäder aus mittelalterlicher Zeit. Christentum und Islam hätten sich in Homs über Jahrhunderte neben- und miteinander entwickelt, erzählt Vater Zuhair Khazal von der syrisch-orthodoxen St. Marienkirche des Heiligen Gürtels (Umm al-Zinar). An »keinem Tag« habe es einen konfessionellen Krieg in Syrien gegeben, betont er.

Der Pater sitzt mit einigen Männern im Innenhof der Kirche, die im Jahre 58 unserer Zeitrechnung erbaut wurde. Weil die ersten Christengemeinden verfolgt wurden, grub man die Kirche gleichsam in die Erde. Ein Gürtel, der der Gottesmutter Maria gehört haben soll, ist eine der Reliquien der Gemeinde. Als die Kämpfe Anfang 2012 zunahmen, wurden der kostbare Gürtel und die Ikonen in Sicherheit gebracht. Seit Beginn der Proteste im Sommer 2011 hatte Pater Zuhair mit Priestern, Imamen und Zivilisten im Komitee für soziale Beziehungen zusammengearbeitet, um die Lage zu entspannen. Zuletzt gehörten dem Komitee 16 Priester, 18 Scheichs, 12 Imame der Moscheen und mehr als 20 Zivilisten an. Am 8. Mai begleitete der Priester die letzten Rebellen zu den Bussen und fuhr mit ihnen zu den Orten, die für ihren weiteren Aufenthalt ausgehandelt worden waren.

Am Tag zuvor war die Kirche in Brand gesteckt worden. Der Täter sei ein Syrer gewesen, der dafür bezahlt wurde. Davon ist Pater Zuhair überzeugt. »Sicherlich kam der Mann nicht aus Homs. Denn einer aus Homs - selbst wenn er zu den Aufständischen gehört hätte - hätte die Kirche niemals anzünden können.« Krieg und Zerstörung seien von außen in die Stadt hineingetragen worden. Und durch Sanktionen habe sich alles nur noch verschlimmert, sagt Pater Zuhair. »Der Westen hat diese Kämpfer unterstützt, die arabischen Staaten haben sie bezahlt. Wenn junge Männer erst einmal Waffen in den Händen halten und gut dafür bezahlt werden, wird der Krieg ein kommerzielles Unternehmen. Wer das meiste bezahlt, bekommt das meiste.«

Im Hintergrund wird gehämmert und gebohrt. Immer wieder rufen die Arbeiter herüber und wollen Anweisungen für die Reparaturarbeiten haben. Der Wiederaufbau der zerstörten Kirche ist in vollem Gange.

Samer Kabak, ein junger Syrer aus dem Stadtteil Hamidiye, bietet seine Begleitung für einen Rundgang an. Unweit der Kirche liegt das Restaurant »Al Agha«, das weit über die Grenzen von Homs hinaus bekannt war. Rebellen machten es zu ihrem Quartier, der unterirdische Weinkeller wurde in ein Feldlazarett verwandelt, Material für Verbände und zur Wundbehandlung liegt noch herum. Hinter einer Mauer sind Sprengkapseln gestapelt. »81 Millimeter« ist auf dem Verschluss zu lesen, hergestellt in der Türkei.

Einige Ecken weiter befindet sich der Jesuitenkonvent, der in den zwei Jahren der Kämpfe zu einem wichtigen Anlaufort für die ausharrende Bevölkerung wurde. Tag und Nacht sei die Tür für Hilfesuchende offen gewesen, berichtet Nazim Kanawati. Leiter des Konvents war der niederländische Pater Francis van der Lugt, der unermüdlich für einen Waffenstillstand warb. Am 7. April sei ein maskierter Unbekannter aufgetaucht und habe den Pater aufgefordert, mit ihm zu kommen, erzählt Kanawati. Als sich Pater Francis weigerte, habe der Mann ihm befohlen, sich auf einen Stuhl zu setzen, und ihn erschossen.

In einer schmalen Straße in Hamidiye zeigt uns Samer Kabak sein Haus. Er teilt es sich mit zweien seiner fünf Brüder. Die Beschädigungen sind enorm. Im Wohnzimmer sind die Fenster herausgesprengt, Einschüsse im Schlafzimmer zeugen von schweren Kämpfen im Viertel. Wie die meisten der rund 70 000 Einwohner der Altstadt war auch Kabak mit seiner Familie 2012 ins Küstengebirge westlich von Homs geflohen. Sofort, nachdem er vom Abzug der Rebellen gehört hatte, kehrte er zurück, begutachtete die Schäden und entwarf einen Plan für die Reparatur. Stockwerk für Stockwerk soll restauriert werden. Und dann hofft er, seinen Laden für Solaranlagen wieder eröffnen zu können. Mehr könne er nicht sagen, entschuldigt sich der junge Mann. Die Ereignisse der letzten Jahre sind auch für ihn schwer zu verkraften.

Ungezählte Menschen sind in der Altstadt von Homs ums Leben gekommen, die Überlebenden haben tiefe Narben davongetragen. Zu Fuß, mit Fahrrädern, auf Mopeds oder in kleinen Lieferwagen streifen sie durch die Gassen, um zu sehen, was von ihrem Zuhause geblieben ist: brandgeschwärzte Hauswände, zusammengestürzte Gebäude, aufgesprengte Straßen, versengte Bäume, zertrümmerte Türen, Fenster und Dächer. Die Geschäfte in den einst von Mameluken und Osmanen erbauten Märkten sind geplündert. Die stolze Khalid ibn al-Walid-Moschee ist von Granateinschlägen und Schüssen durchlöchert. Die Häuser in ihrer Nachbarschaft ragen wie verkohlte Gerippe in den Himmel. Nur der Vogelgesang unterbricht die Stille über den Ruinen.

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