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Die Frauen und der Porree

»Fußballgefühle« - das neue Buch von Axel Hacke

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Natürlich war früher alles besser. Die Welt erweckte den Eindruck, auf unsere Anweisungen zu hören, sich gemäß unserer Maßgaben zu verändern. Auch der Fußball war einst schöner. Axel Hacke fragt einen Freund nach den Gründen. Der sagt: »Weil wir früher jünger gewesen sind.« So einfach ist das mit der Schwierigkeit, das fortlaufende Leben zu begreifen. Alles war schöner, das Kino, die Friedensfahrt, die Brötchen, die Musik, die Gesellschaft sowieso. Weil wir darin lebten. Wir waren doch am Ball. Plötzlich aber sitzt du am Spielfeldrand und siehst, dass die Wilden immer die anderen sind. Und immer schon waren. Die Verlängerungen, die existenziell anstehen, schließen dich aus, du versuchst mitzuhalten, hast aber lediglich dein Gesicht, das länger und länger wird. Irgendwo in deiner Nähe fällt der Satz, der dich gewaltig foult: Das Spiel ist aus. Du schaust weg. Oder siehst dir ein Fußballspiel an. Denn es gibt etwas, das auch den heutigen Fußball schön hält. »Es gibt immer wieder Hoffnung, immer ein Morgen«, schreibt Axel Hacke. »Es fängt alles immer wieder an. Insofern ist Fußball schöner als das Leben.«

Pünktlich zur WM schrieb Hacke das Feuilletonbuch »Fußballgefühle«. Ein Buch der Wahrnehmungsfreude. Angesichts des sportiven Großkapitalismus sorgt sich dies Buch - und genießt trotzdem. Des Autors Leidenschaft klebt sich an den Ball, aber sie verklebt ihm nicht den frechfreien distanzierten Blick aufs Gewerbe. Und obwohl geschrieben steht: »Die Deutschen sind im Grunde am sympathischsten im Selbstzweifel, am unangenehmsten im Auftrumpfen« - das Buch klagt nicht an mit dieser jetzt so flottierenden Zynismusroutine rundum; es verpickelt nicht, wenn eine deutsche Nationalfahne windtänzelt. Es ermahnt nicht, es erzählt.

Dieser Autor hat Freude an der Entdeckung, dass ihm beim Fußball Gedanken übers Leben kommen - das er liebt. Das ist nicht jedem gegeben. Wem es nicht gegeben ist, der hält geistiges, gar literarisches Umherschweifen beim Fußball für Blödsinn. Vielleicht, weil es ihm auch bei anderen Gegenständen an Geist mangelt. Hacke lächelt drüber weg. Er fabuliert über Fußballbegriffe, er erinnert sich an grandiose Spiele, er freut sich an den Reizen einer groben Kultur, er zürnt über Profitgier, vor allem aber bleibt er auch dort locker, wo er nicht unbedingt liebsame Wahrheiten ausspricht: »Jedes Spiel ist immer wieder ein Aufbruch in den Kampf, und ganz offensichtlich arbeiten wir hier Woche für Woche auch in den hochzivilisierten Gesellschaften uralte Instinkte ab, die nie verschwinden: das gemeinsame Rüsten für den Krieg, die Eroberung von Territorium, das Feiern von Siegen.« Schlimm, ja, aber doch beruhigend, wenn es nur auf dem Rasen geschieht, im Spiel, das man eine ekstatische Funktion unserer Natur nennen könnte.

Einen »Fußballfreund« nennt sich der Autor, er ist kein Fan. Er ist altmodisch. Er ist alt genug für Wehmut und noch jung genug für Mystifizierung. Von Netzer etwa, dessen Unsterblichkeit sich von jener Goethes enorm unterscheidet: »Er kann sie zu Lebzeiten genießen.« Hacke gesteht, dass ihn Frauenfußball nicht interessiert, wie ihn ja auch »die Zellstruktur von Porree« nicht interessiert. Er schildert einen Moment im Wembley-Stadion: »Mitten im Gewühle sah ich einen älteren Herrn, einsam und ganz allein, er blickte minutenlang einfach vor sich hin, niemand redete mit ihm. Das war Udo Lattek, der bis heute immer noch erfolgreichste Vereinstrainer Deutschlands.« Ein Satz, eine Tragödie, eine unbesiegliche Wahrheit: Ruhm ist der Schreibversuch im Sand. Hacke sinniert über Leute, Legenden, er beschreibt über Fußball und Familie, diese kleinste Fankurve, er beobachtet Spieler, wie ein Theaterkritiker Schauspieler auf der Szene skizziert. Er beklagt das Ende des Außenstürmers, es kam »mit der Weiterentwicklung der Verteidiger zu unnachsichtigen Grätschenmännern«, er schildert Zidanes Trümmer-Tritte gegen eine Kabinentür und fragt: »Ja, warum steht diese Tür nicht im Museum großer Wutanfälle?« Er liefert eine episodenreiche Geschichte des Weltfußballs der letzten Jahrzehnte.

Hackes Freude am Fußball bindet sich gern an Spieler, die zu empfindsam für den Betrieb sind, zu unbiegsam für die Märkte, zu wenig sklavisch im Herrschaftsgefüge eines Sportkonzerns. Er mag jenen Sieger, aus dem doch auch die Erfahrung eines mit umfassender Verletzlichkeit Geschlagenen spricht. So ist »Fußballgefühle« ein Buch über das schwierige Heldentum der ewig Unvollendeten, das einem zuschauenden Herzen nicht nur weh, sondern auch gut tut. Für das Erlebnis dieses Gefühls verlassen wir ja gern den Alltag und gehen dorthin, wo Kunst geschieht - oder eben Fußball gespielt wird. Gehen zu den Charakteren, zu den Charismatischen, an die wir unser Talent für die Verehrung verschwenden. Andrea Pirlo etwa, »ein Mann, der die herrlichsten Pässe mit einer Aura spielte, als wollte er sagen: Na gut, dann spiele ich diesen Pass eben doch, aber was ändert es schon daran, dass die Welt schlecht ist und wir alle sterben müssen.«

Pirlo ist längst abgeflogen aus Brasilien. Gut so, denn Pirlo ist ein italienischer Fußballer, und Hacke mag die Italiener nicht - ein weiterer Grund, warum ich dieses Buch so vorzüglich finde. Er schreibt sogar einen Brief an die Italiener: »Zum Beispiel essen wir seit Jahrzehnten Eure Speisen. Und es ist nun der Tag zu sagen: Es war nicht immer nur gut (…) Wir lieben Don Camillo und Peppone, obwohl es hier in weiten Landstrichen weder Kommunisten noch Katholiken gibt, schon gar nicht gleichzeitig...« Ein Brief, der mit dem Wunsch endet, endlich keine Schwierigkeiten mehr mit den Italienern zu haben. Also: beim Fußball endlich zu gewinnen. Dass Pirlo und Co. abreisen mussten von der jetzigen WM - auch eine annehmbare Lösung! (Mit Algerien wächst wohl ein neues Trauma heran?! Aber nur im Albtraum genießt die Lust schamlos, dass sie ein böser Dämon ist.)

Der Freund des Fußballs ist, wie der Akteur selbst, vor jedem Spiel der reine Christ: Er weiß, dass er nichts fordern, aber alles erhoffen kann. Aber freilich kann man nicht spielen, ohne dass einem mitgespielt wird. Das Fußballgefühl als Lebensgefühl, als Weltgefühl, als Geschichtsgefühl: Man kann Programme über Programme haben - man weiß erst dann genau, was man will, wenn es einem der Gegner klarmacht.

Axel Hacke: Fußballgefühle. Verlag Antje Kunstmann München. 172 S., geb., 16 €.

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