Leistungssport trotz Asthma

Kinder mit Bronchialkrankheit leiden zusätzlich unter Ignoranz und Pharmalobby

  • Henriette Palm
  • Lesedauer: 5 Min.
Etwa zehn Prozent der Kinder und Jugendlichen und fünf Prozent der Erwachsenen leiden an Asthma Bronchiale. Sie werden meist nur medikamentös behandelt, obwohl die Psyche eine große Rolle spielt.

Im Anfangsstadium oft als Husten abgetan, wird die Diagnose »Asthma« bei vielen Kindern erst mit Verzögerung gestellt. Wie sehr die Betroffenen unter der Erkrankung leiden, hängt nicht nur vom Schweregrad ab, der an der Häufigkeit der anfallartig auftretenden Atemwegsverengung und Verkrampfung der Bronchialmuskulatur in vier Stufen festgemacht wird. Diese Anfälle treten im 1. Stadium tagsüber maximal einmal in der Woche und nachts bis zu zweimal pro Monat auf. Bei einem mittleren Schweregrad werden die Betroffenen jeden Tag und einmal wöchentlich auch nachts von Anfällen heimgesucht. Die Luftnot verursacht Angstgefühle und Unruhe, kann zu Sprechschwierigkeiten und Übelkeit führen. Nicht selten stellt das asthmakranke Kind auch für das familiäre Umfeld eine Herausforderung dar. Das Wissen darum, dass die Disposition zur Hyperreagibilität (Überreaktion des Bronchialsystems auf bestimmte Reize) lebenslang fortbesteht, die Krankheit also nicht heilbar ist, belastet viele Betroffene.

Oliver Gießler-Fichtner, Leitender Psychologe an der Fachklinik Gaißach und zweiter Vorsitzender in der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Asthma-Schulung e.V., hat aber auch eine gute Nachricht für Betroffene: »Mit geeigneter Therapie und Verhaltensänderung können die meisten Patienten symptomfrei leben.« Das zeigen auch eine ganze Reihe von Spitzenathleten, die bewiesen haben, dass selbst Sport auf höchstem Niveau trotz Asthma möglich ist: Rekordschwimmerin Sandra Völker oder Kanu-Legende Birgit Fischer - um nur zwei Beispiele zu nennen - errangen während ihrer Karriere viele internationale Erfolge. Andere gehen kaum noch an die frische Luft und lindern durch diese Art der Adaptation aufs Handikap ihre Beschwerden.

Leider erfülle sich seine optimistische Prognose für viele erst nach einer längeren Odyssee durch Haus- und Kinderarztpraxen, so Gießler-Fichtner. Seit Jahrzehnten sei bekannt und durch Studien belegt, dass die Psyche bei Asthma eine große Rolle spielt. So hätten Wissenschaftler herausgefunden, dass Asthma an der Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Auffälligkeiten beteiligt ist. Psychische Auffälligkeiten - so ließ sich nachweisen - wirken umgekehrt auch an der Entstehung und Aufrechterhaltung von Asthma mit. Der Psyche kommt in beide Richtungen eine verstärkende Wirkung zu. »Umso weniger verständlich ist es, dass Ärzte sich bei der Therapie in vielen Fällen einzig auf Medikamente verlassen. Kinder werden damit Opfer aus einer Mischung von Unkenntnis, von Ignoranz und Verteilungsproblemen im deutschen Gesundheitssystem. Der steinige Weg, den Erkenntnis nehmen muss, um in der Praxis anzukommen, ist gepflastert mit berufsständischen und von Industrielobbyisten errichteten Hürden sowie vermeintlich existierenden oder bewusst vorgeschobenen finanziellen Problemen.«

Dabei könnten Asthma-Schulungen für Kinder, Jugendliche und deren Eltern das Leiden für alle Beteiligten stark vermindern. Gießler-Fichtner sprach kürzlich auf dem Landestag der Psychologie in Stuttgart über die Chance strukturierter Schulungen mit fest vorgegebenen Modulen, die von den Krankenkassen bezahlt werden. Sie finden über einen Zeitraum von mehreren Wochen an jeweils ein bis zwei Wochentagen für zwei bis drei Stunden statt. Durchgeführt werden sie für maximal sieben bis acht Familien von einem multidisziplinären Team, zu dem unbedingt ein Psychologe ein Arzt und wahlweise ein Sport-, Physio- oder Atemtherapeut gehört.

Das Programm wird von dem speziell ausgebildeten Team altersgerecht und spielerisch vermittelt. Neben der Anatomie und Physiologie lernen die Patienten und die betroffenen Eltern Ursachen und -auslöser für Asthma bronchiale kennen. Praktische Hilfestellungen für den Alltag sind u. a. das Erlernen einer guten Selbstwahrnehmung. Erklärt werden zudem Wirkung und Anwendung der Medikamente sowie die Vermeidung von Auslösern und der Umgang mit Notfallsituationen. Aufklärung und Übungen finden zum Teil gemeinsam mit Kindern und Eltern statt, zum Teil getrennt. »In der Medikamentenschulung verwenden wir z. B. zwei Symbole - ein grünes Quadrat für die Dauermedikation und einen roten Punkt für die Notfallmedikation. Die Kinder erhalten Aufkleber zur Kennzeichnung ihrer speziell verordneten Medikamente. Diese selbsterklärende Symbolik versteht jeder.« Der Name des Medikaments spiele dabei keine Rolle, so der Psychologe. Zum besseren Verständnis der Krankheit müssten sich Kinder während der Schulung durch einen Kriech-Tunnel aus dem Spielzeugsortiment mit Boxhandschuhen hindurchboxen; der Tunnel symbolisiere eine zusammengezogene Bronchie. Eltern drücken die Tunnel mit den Waden leicht zusammen und vermindern den Druck, sobald das Kind boxt. Dieses Boxen steht für die Einnahme des Notfallmedikaments. Nach der Übung begreifen Kinder, dass sie ihrer Luft helfen müssen, durch die verengten Bronchien hindurch zu kommen.

In der Asthmaschulung besteht genug Zeit, alle Fragen mit den verschiedenen Professionen in Ruhe zu erörtern. Hilfreich ist für die kleinen und großen Patienten auch die Erfahrung, mit dem Asthma bronchiale nicht alleine zu sein. Sie erleben, dass auch andere Kinder und Jugendliche mit der Krankheit (fast) ohne Einschränkung ein normales Leben führen können.

Die Wirksamkeit der Schulungen wurde bereits vor zehn Jahren untersucht und nachgewiesen. Deshalb ist sie auch beim Bundesversicherungsamt genehmigt. Sie führt, so Experte Gießler-Fichtner, sogar zu einer Kosteneinsparung, weil die Kinder und Jugendlichen viel seltener das sehr teure hochwirksame Notfallmedikament benötigen. Trotz der genannten positiven Effekte werden Patienten nicht ausreichend auf diese Schulungsmöglichkeit aufmerksam gemacht. Dass sie in manchen Gegenden darüber hinaus viel zu wenig angeboten werden, ist Gießler-Fichtner zufolge nicht Ursache sondern eher die Folge dieser Situation. Bisweilen kommen verzweifelte Eltern zu ihm, denen ein Arzt seit Jahren eingeredet hat, »das bisschen Bronchitis wächst sich aus mit der Zeit«, der nächste habe dann sofort Cortison eingesetzt, was die Eltern jedoch mit Blick auf eine mögliche Langzeittherapie sehr skeptisch machte. Mühsam habe die Arbeitsgemeinschaft Asthma-Schulungen etwa rund um München ein respektables Netz von Anbietern aufgebaut. »Die Kinder kommen trotzdem noch nicht, weil Ärzte sie nicht schicken und die Eltern nicht aufklären. Die Ursache dafür ist komplex.« Die Pharmaindustrie wolle ihre Medikamente verkaufen, Ärzte wüssten zum Teil nicht um die Forschungsergebnisse oder ignorierten sie bewusst und einige hätten womöglich Angst, der Patient brauche irgendwann keine ärztliche Hilfe mehr.

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