Die Stellvertreter
Ingolf Bossenz zum Empfang von Missbrauchsopfern durch Papst Franziskus
Ist der Ruf erst ruiniert, ruft es sich ganz ungeniert. In jedem Kalauer steckt ein Körnchen Wahrheit und die Rufe des neuen Papstes nach Umkehr und Erneuerung innerhalb seiner ruframponierten Religionsanstalt haben ja in der Tat etwas rührend Ungeniertes. Der vatikanische Virtuose der großen Gesten hat jetzt in seiner privaten Residenz erstmals Opfer sexuellen Missbrauchs durch katholische Geistliche empfangen. Zwei Deutsche, zwei Briten, zwei Iren. Um nicht missverstanden zu werden: Das Bemühen des Mannes auf dem Stuhl Petri, das von seinen Vorgängern hinterlassene unselige Erbe zu bewältigen, ist zweifellos ehrlich und ehrenwert. Zumal er diese Bewältigungsversuche frei von persönlicher Verstrickung in die Vertuschungs-, Vernebelungs- und Vereitelungsskandale anpacken kann. Was die verbale Verdammung von Frevel und Frevlern betrifft, sind mittlerweile kaum noch Steigerungen möglich. So hat der Pontifex unmissverständlich klargestellt, dass »ein Geistlicher, der so etwas tut, Verrat begeht am Leib des Herrn«.
Dass äußere wie innere sexuelle Zwänge im Verein mit den exklusiv männlich dominierten Strukturen der römisch-katholischen Kirche ein gefährlich-giftiges Amalgam erzeugen können, haben die vergangenen Jahre und Jahrzehnte demonstriert. Doch statt diese fatalen Verfilzungen endlich aufzulösen, empfängt der Stellvertreter ein paar Stellvertreter der Opfer.
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