Abgründe und Kornfelder

Jack White: «Lazzaretto»

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 2 Min.

Lazaretto« nannte man einst Quarantäne-Schiffe. In sicherer Entfernung bargen sie vor der Küste in ihrem Bug die »Aussätzigen«. Dass der Rock-Exzentriker Jack White den Ausdruck als Titel für sein aktuelles Album wählte, ist nur eine der vielen düster- bis schwarzhumorigen Facetten dieses komprimierten Werks.

Es herrscht dichter Rumpelsound: Psychedelischer Spacefunk, rührende Folkballaden, schreiende Schweineorgelattacken kreieren einen Trip durch die Niederungen der USA - vom großmäuligen Glamrock-Opener, über das gleichzeitig angestaubte und futuristische »Lazaretto« bis zur einfachen wie runden Akkustik-Perle »Temporary Ground«.

Stimmlich grüßen hier der junge Mick Jagger oder das verbrauchte Organ von Mark Oliver Everett von den Eels. Die ruhigen Stücke erinnern in der Einfachheit an Johnny Cash unter der Fuchtel von Rick Rubin. Oft aber meckert Jack White einfach, wie man es lieben gelernt hat, mit angezerrter Stimme und in hoher Stimmlage über perkussive Gitarrenläufe und breite Akkorde.

Nicht, dass die Platte nicht grooven würde. Aber es drängt sich zumindest der Eindruck auf, dass White bei Songwriting und Produktion nicht zuerst die Tänzer im Kopf hatte, sondern vor allem seine verschrobene Glam-Welt. In Whites abgestecktem Americana-Terrain kommt außerdem immer etwas Ungewöhnliches wie ein Geigensolo, ein disharmonisches Saloonpiano oder ein eingeschobener Zeitlupen-Hardrock-Part um die Ecke.

Der Dilletanten-Charme des Vorgängerprojekts White Stripes bleibt erhalten. Der hatte sich dort allerdings automatisch eingestellt, da die Drummerin nicht spielen konnte. »Lazaretto« dagegen, wo der Unperfektionismus aktiv hergestellt werden musste, hält schlafwandlerisch die Waage zwischen Verspieltheit und Selbstbeschränkung.

So manchen geschmetterten Rockpart würde man anderen Künstlern niemals durchgehen lassen. White nimmt hier als Zauberlehrling und Verpackungskünstler eine Sonderstellung ein. Momentan zumindest vermag er es meisterhaft, seine Musik mit seiner Rolle als genialischer, einsamer Dandy mit bleichem Junky-Chic zu verschmelzen. Eine amerikanische Geschichte, in der sich Großstadt und Mittlerer Westen, die toten Fabrikschlote von Detroit und die Kornfelder von Kansas zu einem coolen, beunruhigenden Kosmos verbinden.

Die Fehde mit den Black Keys hat White also für sich entschieden. Er hat das brave Duo mit seinem finster funkelnden, mutig altmodischen und oft untanzbaren Bluesrockfolk-Bastard an die Wand geklatscht. Da kann sich die biedere Popproduktion der »Keys« noch so in den Charts festbeißen. Denn schnöde Verkaufszahlen zählen hier nicht - dafür ist die Sache viel zu ernst.

Jack Whie: »Lazaretto« - erschienen bei Third Man Records / XL Recordings

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