»Politische Entscheidung«

Die deutsche Wirtschaft trägt Sanktionen mit - ohne Begeisterung

  • Lesedauer: 4 Min.
Russland wird im »Westen« vorgeworfen, die prorussischen Separatisten im Osten der Ukraine zu unterstützen. Schon seit Monaten debattiert Europa in diesem Zusammenhang über Sanktionen. Die Bereitschaft dafür wächst in der demgegenüber bislang skeptischen deutschen Wirtschaft nach dem Abschuss des Passagierflugs mit der Kennung MH17. Ralf Streck sprach mit Tobias Baumann, Leiter des Referats Ost- und Südosteuropa beim Deutschen Industrie und Handelskammertags (DIHK).

nd: Unterstützt der DIHK nun schärfere Sanktionen gegen Moskau?
Wir haben stets deutlich gemacht, dass wir keine Freunde von Sanktionen sind, aber die Entscheidungen der Politik nachvollziehen werden. Sie muss entscheiden, welche Mittel angemessen sind, um die Krise einzudämmen oder um Russland gegenüber Position zu beziehen. Da wir militärische Mittel ausschließen, müssen wir sehen, was die Entwicklung wirksam beeinflussen könnte.

Welche Auswirkungen hatten die bisherigen Sanktionen für die deutsche Wirtschaft?
Die ausgesprochenen EU-Sanktionen sind bisher begrenzt. In Erwartung schärferer Sanktionen hat sich aber das allgemeine Umfeld sehr verschlechtert. Aufträge wurden storniert, Neuaufträge nicht vergeben, der Export nach Russland brach in den ersten vier Monaten um 14 Prozent ein, weil der Rubel abwertet, die Kaufkraft sinkt, Kapital abfließt und die Wirtschaft in die Rezession rutscht.

De Bundesbank warnt, die Wirtschaft verliere an Schwung - und führt als Grund dafür auch geopolitische Spannungen wie in der Ukraine an. Der DIHK-Vize Volker Treier verwies darauf, jeder dritte Arbeitsplatz hänge vom Export ab. Werden neue Sanktionen die Lage verschärfen?
Davon kann man ausgehen. Wir rechnen 2014 mit einem Exportrückgang von etwa zehn Prozent. Das ist zwar viel, aber letztlich auch verkraftbar, da der Anteil Russlands an deutschen Exporten nur etwas über drei Prozent ausmacht. Man kann zwar formulieren, dass 300 000 Arbeitsplätze vom Export nach Russland abhängen, doch die sind ja nicht komplett gefährdet, weil wir zehn Prozent Exportrückgang haben.

Drängen Sie wie der Bundesaußenminister auf eine gleichmäßige Lastenverteilung? Er forderte ein ausgewogenes Sanktionspaket.
Es ist selbstverständlich, zu versuchen, die Last auf allen Schultern zu verteilen. Allerdings sind die Wirtschaftsbeziehungen sehr unterschiedlich, von daher kann man da keine Gerechtigkeit bei der Belastung herstellen.

Der Fraktionsvize von CDU/CSU, Michael Fuchs, regt an, weniger Gas aus Russland zu beziehen. Hätte das stärkere Folgen?
Auch das muss man in der Relation betrachten. Wir haben zwar eine Abhängigkeit von russischem Gas zu 35 Prozent, doch wir haben einen Gasanteil am Primärenergieverbrauch von nur 22 Prozent. Ein Drittel davon wären sieben bis acht Prozent. Doch denke ich nicht, dass Lieferungen ausfallen, weil Russland auf die Einnahmen angewiesen ist. Aber die Diskussion wird in Europa nicht mehr zu stoppen sein, wie schnell und bis zu welchem Grade man sich von Russland unabhängiger macht.

Woher sollte Ersatz für dieses Gas kommen? Aus Algerien?
Neben Algerien können es auch andere Länder sein - und der Flüssiggassektor kann ausgebaut werden. Das ist kein kompletter Ersatz. Es ist aber eine Entwicklung, die ich wegen dieser schweren Krise und fehlende Anstrengungen von Russland zur Konfliktbeilegung erwarte.

Droht ein Handelskrieg mit Folgen nahe der Stagnation? Volker Treier warnt vor »extremen Vergeltungsmaßnahmen« und einer »Sanktionsspirale«.
Darüber kann man nur spekulieren. Es ist nachvollziehbar, dass die Vorgänge eine positive Entwicklung nicht fördern. Inwiefern sich die Lage in der Eurozone und in den Krisenländern verschlechtert, kann niemand sicher sagen. Russland ist zwar ein wichtiger Partner, aber er kann uns im Hinblick auf die Gesamtexportstruktur nicht ins Unglück stürzen.

Sind Sanktionen gegen einen Partner wie Russland nicht verfrüht? Es ist unklar, wer die Maschine abgeschossen hat.
Es gibt keine letztgültigen Beweise, aber eine überzeugende Reihe von Indikatoren, die nahelegen, dass Russland für den Abschuss mitverantwortlich ist. Es ist eine politische Entscheidung und da können wir als Wirtschaft im Endeffekt nur das nachvollziehen, was die Politik vorgibt.

Auch wenn es deutsche Firmen hart trifft?
Ja. Wir befinden uns natürlich im Dialog mit der Politik, die die Entscheidungen treffen muss. Wir können auf Folgen hinweisen und versuchen zu antizipieren, welcher Schaden entstehen könnte. Das kann Arbeitsplätze kosten und diese Sorgen müssen wir ernst nehmen.

Glauben Sie an erfolgreiche Sanktionen?
Angesichts der Entwicklungen in der Ostukraine und des monströsen Abschusses geht es jetzt darum, Position zu beziehen.

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