Hartz-IV-Bilanz »niederschmetternd«
Sozialverband fordert mehr Geld für Langzeitarbeitslose, die zuvor ins Sozialsystem eingezahlt haben
Das Hartz-System gehört nach Ansicht von Adolf Bauer endlich auf den Prüfstand. Es sei eine »soziale, ökonomische und moralische Bankrotterklärung«, sagte der Präsident des Sozialverbandes Deutschland (SoVD) am Mittwoch bei der Vorstellung eines Reformkonzeptes in Berlin.
Die Bilanz sei »niederschmetternd«, so Bauer, die »negativen Folgen gravierend für die gesamte Gesellschaft«. Langzeitarbeitslosigkeit, Niedriglohn und prekäre Beschäftigung sowie Armut hätten erheblich zugenommen, heißt es in dem Reformpapier. Etwa die Hälfte aller Neueinstellungen erfolge nur noch über Praktika, befristete Arbeit oder Leiharbeit. Wer einen Job hat, werde gezwungen, immer schlechtere Arbeitsbedingungen zu akzeptieren.
Die hinter Hartz IV und der Agenda 2010 liegende Marktideologie lehne der SoVD ab: Arbeitslosigkeit sei nicht durch persönliche Defizite der Betroffenen bedingt. Hier will Bauer einen »Paradigmenwechsel« mit dem Ziel, »eine solidarische Gesellschaft zu verwirklichen, in der alle die gleichen Chancen auf eine gesicherte Existenz und eine gute Arbeit zu fairen Bedingungen und angemessener Entlohnung haben«.
Der Sozialverband hat deshalb gleichzeitig mit der Bund-Länder-Gruppe, die an einer Reform der Hartz-Gesetze arbeitet, ein eigenes Konzept vorgelegt. Darin fordert er höhere Regelsätze für Hartz-IV-Bezieher sowie ein neues, zeitlich unbegrenztes »Arbeitslosengeld II Plus« für jene Langzeitarbeitslose, die schon Beiträge in die Sozialkassen bezahlt haben. Zudem müsse sich die Betreuung von Langzeitarbeitslosen spürbar verbessern, so Bauer. Die Vorsitzende des Arbeitskreises Sozialversicherung im Sozialverband, Ursula Engelen-Kefer, nannte als Beispiel die kurzfristigen Bewerbungstrainings, die dringend durch nachhaltige Qualifizierungsmaßnahmen ersetzt werden müssten. Das Konzept fordert, alle Leistungen in der Hand der Bundesagentur für Arbeit zu belassen.
Wichtig sei aber auch, Arbeitslosigkeit zu verringern und zu vermeiden. Hier fordert der SoVD eine Re-Regulierung: die Wiederherstellung eines umfassenden Kündigungsschutzes, eine Einschränkung befristeter Beschäftigung sowie ein Ende geringfügiger Beschäftigung zugunsten regulärer, sozialversicherter Arbeit. Darüber hinaus müsse der Mindestlohn von 8,50 Euro ab 2015 für alle gelten.
Die Opposition begrüßte die Vorschläge. »Hartz IV ist unwürdig«, erklärte die Parteivorsitzende der LINKEN, Katja Kipping. Sie sprach sich für eine Erhöhung der Regelsätze auf monatlich 500 Euro und die Abschaffung der Sanktionen aus. Der Sprecher für Sozialpolitik der Grünen, Wolfgang Strengmann-Kuhn, forderte, bürokratische Hürden abzubauen. »Die Menschen sind mit den Anträgen oftmals überfordert«, erklärte Strengmann-Kuhn. Notwendig sei, die Antragstellung zu vereinfachen, Bescheide transparenter zu gestalten und die Beratung zu verbessern.
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