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Im Schnitt eine Staatspleite pro Jahr

Die Zahlungsunfähigkeit eines Landes ist keine Seltenheit - oft geht sie glimpflicher aus als befürchtet

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.
Bis heute gibt es kein geregeltes Insolvenzverfahren für Staaten. Dies lockt Geierfonds an, die bei Schuldenerlassen nicht mitziehen.

Staatsinsolvenzen haben eine lange Historie. Neu ist am Fall Argentinien nicht einmal, dass Spekulanten den Sturz auslösten. Hedgefonds wie Elliott Management erwarben in den letzten Jahren einen großen Teil der nicht umgeschuldeten Anleihen und streben eine 100-prozentige Rückzahlung vom argentinischen Staat an. Ein böser Klassiker der Jetztzeit.

Ein Blick in die Geschichte zeigt jedoch, dass Staatspleiten am Ende meist glimpflicher ausgingen als befürchtet. Schließlich hat ein Gläubiger wenig davon, wenn der Schuldner wirklich Pleite geht und die Kreditrückzahlungen ganz einstellt. Beim letzten Bankrott Argentiniens vor 13 Jahren rettete der - nicht ganz freiwillige - Teilverzicht fast aller Gläubiger sowie ein Nachfrageboom aus China nach Fleisch und Kupfer Argentinien. Heute ist China der zweitwichtigste Handelspartner und scheint auch jetzt bereit, Buenos Aires aus der Patsche zu helfen. Staatspräsident Xi Jinping kündigte während seines Besuchs nach der WM eine Finanzspritze von 7,5 Milliarden Dollar an.

Die Betonung liegt auf »Dollar«: Typisch für Staatsschuldenkrisen sind Miese im Ausland und in fremder Währung. Das war in Deutschland nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg so. Erst großzügige Schuldenstreichungen und Umschuldungen der Alliierten retteten die Weimarer Republik und 1953 die junge Bundesrepublik vor dem Bankrott. Die Euro-Krise 2010 war ein Sonderfall - Griechenland, Portugal und Irland sind nicht in ausländischer Währung verschuldet, haben aber keine Möglichkeit, selbst die Notenpresse anzuwerfen. Japan wäre heute, an diesen Fällen gemessen, eigentlich mega-pleite: Der öffentliche Schuldenberg ist in Relation zum Bruttoinlandsprodukt doppelt so hoch wie in Griechenland. Doch da die Regierung in Tokio fast ausschließlich in der Schuld ihrer Bürger und Banken steht, ließe sich im Notfall die Notenpresse anwerfen.

Auch wenn nur die ganz großen Pleiten Schlagzeilen machen, kommen Staatsinsolvenzen alles andere als selten vor: Seit dem Jahr 1800 gab es weltweit 227 Fälle - dies haben die Harvard-Ökonomen Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart ermittelt. Auch Europa traf es häufig: Die Niederlande und Italien waren zahlungsunfähig, Polen mehrfach, Deutschland und Österreich sogar sieben Mal. Doch während in Industrieländern meist Diktatoren und Kriege unbezahlbare Schulden hinterließen, werden Entwicklungs- und Schwellenländern oft Fehlinvestitionen auf Pump, ein Preisverfall bei Rohstoffen und/oder wilde Finanzspekulationen zum Verhängnis. So war es in der Schuldenkrise Lateinamerikas in den 1980er Jahren, in der Asienkrise 1997/98 und wenig später in Russland.

Lösungsversuche für überschuldete Länder laufen mehr oder weniger informell im Londoner oder im Pariser Club, wo sich hunderte Banken und Fonds, westliche Regierungen sowie arme Länder, die Kredite nicht mehr bedienen können, zusammensetzen. Einen regulären Mechanismus zum Umgang mit Staatspleiten gibt es jedoch nicht. Seit der Reorganisation der Weltwirtschaft 1944 in Bretton Woods wurde eine Vielzahl von Vorschlägen für ein Insolvenzverfahren unterbreitet - sie alle scheiterten am fehlenden politischen Willen.

Die unregulierte Situation lockt Geierfonds an, die derzeit Argentinien bedrohen. »Solche Fonds haben früher bereits Bankenforderungen gekauft und sich geweigert, Schuldenerlasse mitzutragen, die die Mehrheit der übrigen Gläubiger vereinbart hatte«, sagt ein Sprecher des Bündnisses »Erlassjahr.de«. Urteile zugunsten der Geier im Umfang von 1,965 Milliarden US-Dollar seien dokumentiert.

Die meisten bekannt gewordenen Fälle betreffen Länder, die seit 1996 unter der von Weltbank und Internationalem Währungsfonds betriebenen HIPC-Initiative teilweise entschuldet wurden, darunter Äthiopien, Kamerun und Sambia. Auch Peru wurde bereits Opfer eines Geierfonds. Das gesamte Volumen der anhängigen Klagen gegen Staaten wird auf bis zu 90 Milliarden Dollar geschätzt.

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