Verweigerung light
Immer mehr Reservisten lehnen den Dienst im gegenwärtigen Krieg ab - meistens aus »beruflichen Gründen«
Seit Beginn des Krieges im Gazastreifen demonstriert ein großer Teil der Öffentlichkeit Unterstützung: für das militärische Vorgehen und die Solidarität mit den Reservisten, die einberufen wurden. Über ein anderes Ergebnis des Krieges sprechen Militär und Regierung dagegen nicht gerne: Auf Fragen nach den Auswirkungen auf die Zahl der Kriegsdienstverweigerer, derjenigen, die sich vom Reservedienst freistellenlassen, wird jeder Kommentar verweigert.
Denn diese Zahlen haben es in sich: Nach Angaben von Mitarbeitern der Militärstaatsanwaltschaft ist die Zahl der Wehrpflichtigen, die aus Gewissensgründen den Militärdienst verweigern, ebenso gestiegen wie die Zahl derjenigen, die eine Befreiung aus physischen oder psychischen Gründen anstreben. Letzteres ist in Israel die »Light-Variante« der Wehrdienstverweigerung.
Denn eine Möglichkeit, ersatzweise einen Zivildienst abzuleisten, gibt es für jüdische, säkulare Wehrpflichtige nicht. Wer aus Gewissensgründen verweigert, muss so lange ins Militärgefängnis, bis er sich zum Wehrdienst bereit erklärt. Frauen mit Familie können sich allerdings freistellen lassen, und auch die meisten ultraorthodoxen Juden können - obwohl es darum eine jahrelange, sehr scharf geführte Debatte gab - nach wie vor dem Militärdienst entgehen, wenn sie an einer Religionsschule studieren. Inoffiziellen Zahlen zufolge dienen mittlerweile 27 Prozent der Wehrpflichtigen nicht mehr beim Militär. Vor zwei Jahren waren es noch 24 Prozent.
Bei Reservisten dagegen läuft die Verweigerung weniger offensichtlich ab: Man lässt sich aus beruflichen Gründen für unabkömmlich erklären. Aber mehrmals machten auch Reservisten ihre Ablehnung des Krieges in offenen Briefen deutlich. Und auch Jugendliche stehen zunehmend offen zu ihrer Verweigerung und können dabei, obwohl sie in der breiteren Gesellschaft oft stigmatisiert werden, mit Unterstützung durch Gleichgesinnte rechnen. Selbst einen Job zu finden, ist heute leichter geworden: Eine große Zahl von Unternehmen wird heute von Kriegsdienstverweigerern geführt.
Auch der Umgang des Militärs mit den eigenen Soldaten wird hinterfragt. Mitten im Krieg wurde bekannt, dass die »Hannibal-Doktrin« wieder belebt wurde: Ihr zufolge sollen Soldaten mit allen Mitteln vermeiden, dass Kameraden verschleppt werden - auch wenn dabei Soldaten und Unbeteiligte verletzt werden. Damit sollen künftige Gefangenenaustausche verhindert werden. Die Unterstützung für das Militär beruht aber auf dem Grundsatz, dass niemals ein Soldat zurückgelassen wird.
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