»Ein Rekord in Dämlichkeit«

Fall eines US-Vaters und seiner minderjährigen Kinder am Mont Blanc bringen das Fass zum Überlaufen

  • Gregory Danel
  • Lesedauer: 3 Min.
Bergsteiger, die mit ihrem Leichtsinn sich und andere in Gefahr bringen, sind Einwohnern und Bergrettern am Mont Blanc ein Gräuel.

Lyon. Der Bürgermeister von Saint-Gervais in den französischen Alpen hat genug von »Spinnern«. »Ich will hier andere Saiten aufziehen«, kündigt Jean-Marc Peillex in seinem Dorf im Mont-Blanc-Massiv an. Was ihn so in Rage bringt, sind Bergsteiger, die sich leichtsinnig und unvorbereitet auf den gefährlichen Aufstieg zum rund 4800 Meter hohen Mont Blanc begeben. Das Fass zum Überlaufen hat ein Familienvater aus den USA gebracht, der seine beiden minderjährigen Kinder auf den Berg schleppen wollte.

»Am Mont Blanc haben wir schon alles gesehen«, seufzt Denis Crabière, Vorsitzender der nationalen Bergführer-Vereinigung. Von einer Abfahrt in einer Paellapfanne bis hin zu halsbrecherischen Mountainbike-Fahrten habe er schon vieles erlebt. Selbst der US-Vater, der mit einem schockierenden Video seiner Bergtour für Schlagzeilen sorgte, konnte Crabière nicht mehr aus der Fassung bringen.

Patrick Sweeney hatte versucht, seinen Kindern im Alter von neun und elf Jahren den Couloir du Goûter auf 3700 Meter Höhe zu durchqueren, der »Todeskorridor« genannt wird. Auf einem Video, das der Sender ABC News ausstrahlte, war zu sehen, wie die Kinder von einer beginnenden Lawine mitgerissen wurden. Ihr Vater konnte sie knapp vor dem Sturz in die Tiefe retten. Er, der sich als »Adrenalin-Junkie« bezeichnet, war von der Kritik völlig überrascht: Er habe »den Weltrekord des jüngsten Bergsteigers brechen« wollen, indem er seinen neunjährigen Sohn auf den Gipfel brachte, rechtfertigte er sich danach.

»Er hat vor allem einen Rekord in Dämlichkeit gebrochen«, so Crabières. Bürgermeister Peillex erstattete Anzeige gegen den Vater wegen Gefährdung des Lebens anderer. Für Christophe Boloyan von der Vereinigung zur Vorbeugung und Rettung im Gebirge ist der US-Vater eher ein »Einzelfall«. Die meisten Bergsteiger würden sich an die Regeln halten. Doch sei der Berg zu einem internationalen »Konsum«-Objekt geworden.

Oft wundern sich Profis über mangelhafte Vorbereitung und Ausrüstung mancher Bergsteiger, die nicht einmal wissen, wie man sich anseilt. Auf der normalen Aufstiegsroute zwischen der Schutzhütte vom Tête Rousse und der Berghütte des Goûter kamen zwischen 1990 und 2011 insgesamt 74 Bergsteiger um. Hinzu kommen viele Rettungsaktionen am Berg, den im Sommer täglich etwa 200 Menschen hinaufkraxeln. Laut Bergwacht kommen am gesamten Massiv jedes Jahr etwa 40 Menschen um.

Der Bürgermeister von Saint-Gervais glaubt, dass es »immer mehr Spinner« am Mont Blanc gibt. Er erinnert an den Fall eines polnischen Bergsteigers, der die Retter gebeten hatte, ihn mit Hubschrauber ins Tal zu bringen - aus Bequemlichkeit. Solche Leute müsse man »beim Geldbeutel packen« - indem sie für Rettungseinsätze zahlen müssten. Dazu müsste ihnen absichtliches Verschulden nachgewiesen werden. Für einen 48-Jährigen, den die Bergwacht im Juni herunterholen musste, hätte dies nicht zugetroffen: Ihm waren die Stiefel gestohlen worden, er saß in Socken auf 3835 Metern Höhe fest. AFP

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