Sachverstand für die Gegenseite

Zuletzt war es Johannes Kempmann - aber auch andere ehemalige Umweltbewegte wurden schon zu Lobbyisten der Energiewirtschaft

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein Anti-Atom-Aktivist und Grünenpolitiker vertritt jetzt einen Lobbyverband der Energiewirtschaft. Verrat oder gewöhnlicher Berufswechsel? Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.

»Charmantes Schlitzohr mit Profil«, überschrieb die »taz« vor kurzem einen Bericht über den Auf- und Umsteiger Johannes Kempmann. Der kämpfte früher gegen die Atomanlagen in Gorleben, war Pressesprecher der örtlichen Bürgerinitiative und saß für die Grünen im niedersächsischen Landtag. Jetzt ist er Präsident des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft. Die Lobbyorganisation steht im Ruf, verlängerter Arm vor allem der großen Strom- und Atomkonzerne E.on und RWE zu sein. Ist das nur »ein Vorurteil«, wie die »Welt« meint? Oder ist Kempmann ein »Überläufer«?

Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. In der Ökologie- und Anti-AKW-Bewegung hat sich im Laufe der Jahrzehnte viel Sachverstand angesammelt, den sich auch Wirtschaftsverbände und Regierungen gern zunutze machen. Wenn sie (einstmalige) Umweltaktivisten rekrutieren, tut das überdies ihrem Image gut - Stichwort »Greenwashing«. Kempmann ist denn auch nicht der einzige prominente ehemalige Ökoaktivist, der später an ganz anderer Stelle der Umwelt- und Energieszene wieder auftauchte.

Zum Beispiel Stephan Kohler. Nach einer 20 Jahre langen Karriere als Atomexperte beim Öko-Institut und Vorstandsmitglied des Bundesverbands Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) wechselte er 2000 als Geschäftsführer zur neu gegründeten Deutschen Energie-Agentur (Dena). Die ist, anders als viele glauben, keine Regierungsbehörde, sondern ein privatwirtschaftliches Unternehmen. Gesellschafter sind unter anderem die Allianz und die Deutsche Bank.

Bitter stieß Umweltschützern auf, dass Kohler 2008 vor einer »Stromlücke« warnte, falls keine neuen Großkraftwerke gebaut würden. Die späteren Regierungsparteien CDU/CSU und FDP machten sich das Argument zu eigen und nutzten es, um eine Laufzeitverlängerung für die AKW durchzusetzen. Tatsächlich gab es schon damals ein großes Überangebot an Strom. Der Corporate-Governance-Bericht 2012 der Dena gibt sein Jahresgehalt mit 183 755 Euro an.

Auch Michael Sailer machte sich zunächst als Reaktorfachmann beim Öko-Institut einen Namen - anders als Kohler ist er dem Institut bis heute als Mitglied der Geschäftsführung verbunden. 1999 berief ihn der damalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin in die Reaktorsicherheitskommission (RSK), von 2002 bis 2006 war er Vorsitzender dieses Gremiums und damit oberster Gutachter und Berater der Bundesregierung zum Thema AKW-Sicherheit. Seit 2006 ist Sailer wieder einfaches RSK-Mitglied. Zudem steht er der Entsorgungskommission des Bundes vor und ist Mitglied des Scientific & Technical Commitee von Euratom. Mit der Anti-AKW-Bewegung überwarf er sich erstmals, als er sich 1996 gegen Blockaden an den Zwischenlagerstandorten Gorleben und Ahaus aussprach. Aktivisten warfen ihm daraufhin vor, der »Atomlobby auf den Leim gegangen« zu sein. Auch bei den Bürgerinitiativen aus der Asse-Region hat sich Sailer Feinde gemacht: Er ist dagegen, das marode Atomlager leer zu räumen, und setzt sich stattdessen für die Flutung der Grube ein.

Jochen Flasbarth hatte als Präsident des Naturschutzbundes (Nabu) Deutschland ebenfalls viele Jahre eine führende Position in der Umweltbewegung inne. 2009 wurde er Präsident des Umweltbundesamtes, 2013 beamteter Staatssekretär im Bundesumweltministerium. Seine Positionen zum Atommüllstandort Gorleben hat er zumindest öffentlich variiert. Noch 2003 erteilte Flasbarth einem Endlager in Gorleben eine komplette Absage: Der Salzstock im Wendland gehöre »nicht nur auf Eis, sondern ad acta gelegt«. Vor zwei Wochen nun warb er in Lüchow für das Gegenteil - dass das Gorlebener Bergwerk nicht vollends aufgegeben, sondern nur ein bisschen geschlossen wird. So werden die beiden Schächte und ein Verbindungsstollen offen gehalten, um später eine etwaige weitere Nutzung zu ermöglichen. Gorleben bleibt damit im Rennen.

Ein spezieller Fall ist Gunda Röstel. Die Mitbegründerin des Neuen Forums war zwar nicht unbedingt als Umweltexpertin bekannt, aber immerhin von 1996 bis 2000 Vorstandssprecherin der Grünen. Noch im selben Jahr wechselte sie ins Management der Gelsenwasser AG, damals der größte private Wasserversorger Deutschlands und eine Tochter von E.on. Sie sei schon immer pragmatisch gewesen und habe an die segensreiche Wirkung des Wettbewerbs geglaubt, entgegnete sie Kritikern. Zudem gebe es auch in der Wirtschaft Menschen, die sich aufrichtig für die Umwelt einsetzten, »die ticken viel grüner als mancher grüne Kreisverband«. 2011 wurde Röstel in den Aufsichtsrat des Atomkonzerns EnBW gewählt.

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