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… der ganz besonderen Art

  • Lesedauer: 4 Min.
Pokalspiele bergen Überraschungen, das ist ein altes Gesetz. Sie machen aus Fußballpartien – zumal in den Niederungen der Landesverbände – Erlebnisse, die hängen bleiben, sei es wegen herausragender Leistungen der als klar unterlegen eingeschätzten Heimteams oder weil die Begegnungen die Zuschauer an außergewöhnliche Spielstätten führen.
… der ganz besonderen Art

»Müssen wir etwa da hoch?« Die Frage leitet sich nicht nur aus dem Blick des ein oder anderen Babelsberg-Fans ab. Sie wird auch, am S-Bahnhof Wildau angekommen und auf eine Treppe mit geschätzten 200 Stufen blickend, lauthals gestellt. Wie sich wenig später herausstellt, sind es gar nicht so viele. Aber ein wenig hat es der Aufstieg doch in sich. Ich merke die Anstrengung jedoch kaum. Mein Puls ist schon den ganzen Samstagvormittag leicht erhöht. Ich kann es nämlich kaum erwarten, den Fußballplatz in dem kleinen Brandenburger Städtchen zu erreichen.

Den Weg dorthin kenne ich zu gut. Dabei ist es erst das zweite Mal, dass ich hierher komme, um 22 Menschen zuzusehen, wie sie eineinhalb Stunden einem Ball hinterherlaufen. Den Eingang verschafft ein einfaches Gartentor. Wie damals, zwei Mal pro Woche, wenn Leichtathletik auf dem Stundenplan stand. Kurz vor mir passiert es mein damaliger Direktor. Der war – na klar – Sportlehrer. Die rostrote Asche, auf der wir unsere Runden drehten, ist noch dieselbe wie vor 20 Jahren. Nur die Startblöcke fehlen. Und die halbleere Weitsprunggrube, in der sich ein paar (Un)Kräuter frei entfalten können, lädt nicht gerade zu einem Satz ein. Aber diesen mir so eingeprägten Bereich des Otto-Franke-Stadions darf ich an diesem Tag ohnehin nicht betreten. Es heißt, sich hinter dem Eisen-Geländer zu halten, von dem so langsam die weiße Farbe abplatzt. In meiner Erinnerung ist die Konstruktion viel höher gewesen. Und stets forderte sie mich dazu heraus, rauf zu klettern, mich dran zu hängen und Purzelbäume darüber zu schlagen. Heute sind es die Kinder der mitgereisten Babelsberg-Anhänger, die daran ihren Spaß haben.

Auch sonst hat sich hier nicht viel verändert. Der Platz, auf dem wir Schlagballweitwurf nach Noten betrieben – der Nachfolgesport des Handgranatenschleuderns in der DDR-Erziehung –, wird als Parkplatz genutzt. Einige Meter der betonierten Traversen sind mit roten Sitzschalen geschmückt, die die SG Phoenix Wildau unlängst von den Freunden des 1. FC Union Berlins erhielt.

Und so stehe ich nun an selber Stelle wie bei einem der letzten Sport- und Sommerfeste der Betriebssportgemeinschaft des Schwermaschinenbau »Heinrich Rau« – zu dieser gehörte Phoenix immerhin bis 1995 – auf diesem Fußballplatz. Das Gelände war damals voller als heute, überall gab es für Kinder etwas zu erleben – noch ganz ohne Hüpfburg und Karussells. Dafür nahmen die Menschen Erinnerungen mit und auch das ein oder andere Utensil. Unvergessen sind mir die Dederon-Tragetaschen in leuchtenden Farben, die Sportfreunde noch Jahre später benutzten, ehe der Baumwoll-Beutel Einzug in einst ostdeutsche Haushalte hielt. Während des Festes sah ich am Spielfeldrand auch meinem kickenden Vater zu. Eigentlich wartete ich nur darauf, dass der Ball endlich einmal in meine Richtung ins Aus geschossen würde, um ihn holen und zurückwerfen zu können. Ob das dann auch geschah, kann ich nun gar nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Ich meine aber ja.

Diesmal, beim Spiel von Phoenix gegen Babelsberg in der ersten Runde des Brandenburger Landespokals interessierte mich der Ball anders. Er sollte einfach ins Tor rollen. Das dauerte länger als gedacht. Wie üblich, wenn ein Halbprofi-Team auf eine mehrere Klassen tiefer spielende Mannschaft trifft, gilt es für die eigentlichen Favoriten, Mauern und Ketten zu überwinden. Die Wildauer hielten sich gut und konnten ein 0:0 mit in die Pause nehmen. Erst in der zweiten Hälfte drehte Babelsberg richtig auf. In der 77. Minute stand es dann passend 0:3. Aber Wildau kam noch zu einem Ehrentreffer, sodass am Ende beide Vereine und Fans zufrieden sein konnten. Auch für die Handvoll eigens zu diesem Spiel aus ihren Löchern gekrochenen lokalen Nazi-Größen hieß es dann »Abmarsch«.

Die Nulldreier ließen sich trotz des am Ende souveränen Sieges nicht feiern. Vielleicht dachten ein paar Spieler daran, dass sie an diesem Samstag auch im DFB-Pokal hätten spielen können. Und zwar gegen den FC Sankt Pauli. Wäre da bloß nicht die unglückliche Niederlage im Landespokalfinale im Mai gewesen. Mir wäre dann allerdings ein Heimspiel der ganz besonderen Art entgangen.

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