Durchgreifen im Schutz der Anonymität

Bundesländer handhaben Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte bei Großeinsätzen sehr unterschiedlich

  • Bettina Grachtrup
  • Lesedauer: 3 Min.
Sollen Polizisten bei Großeinsätzen eindeutig identifizierbar sein? Ja, meinen meist die Demonstranten. Kritiker halten Nummern für ein Sicherheitsrisiko, das Beamten nicht zugemutet werden könne.

Stuttgart. Bei manchen Polizeieinsätzen geht es hoch her - und auch Beamte schlagen über die Stränge. Um »schwarze Schafe« nach gewaltsamen Zwischenfällen leichter identifizieren zu können, fordern vor allem die Grünen in mehreren Bundesländern eine individuelle Kennzeichnung von Polizisten bei Großeinsätzen. Für sie gehört das zu einer bürgerfreundlichen Polizei. Deren Gewerkschaften gehen indes auf die Barrikaden - sie sehen Polizisten unberechtigt unter Generalverdacht gestellt.

Im grün-rot regierten Baden-Württemberg entzündet sich an dem Thema ein Koalitionszwist. Im Koalitionsvertrag ist zwar vereinbart, dass Polizisten bei Großlagen künftig individuell, aber anonymisiert gekennzeichnet werden sollen - etwa mit Buchstaben- oder Zahlencodes. Doch Innenminister Reinhold Gall (SPD) stellte das Vorhaben erst jüngst wieder infrage. Bislang werden Polizisten bei Großlagen so gekennzeichnet, dass sie je einer Zwölfergruppe von Beamten zugeordnet werden können. Gall hält das für ausreichend.

Die Grünen haben allerdings den gewaltsamen Polizeieinsatz gegen die Stuttgart-21-Gegner vom 30. September 2010 vor Augen. »In der Vergangenheit kam es unter anderem in Konflikten um Stuttgart 21 zur Einstellung von Ermittlungen, beziehungsweise diese mussten unterbleiben, weil eine Identifizierung von Polizeiangehörigen nicht möglich war«, sagt Grünen-Innenexperte Uli Sckerl. Der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Rüdiger Seidenspinner, fürchtet hingegen um das Wohl der Polizisten und ihrer Familienangehörigen. Diese könnten von polizeikritischen Kräften angegangen werden, wenn die Beamten in Großeinsätzen eindeutig identifizierbar seien. Laut Aufstellung der GdP und Umfrage der Nachrichtenagentur dpa handhaben die Länder das Thema bislang völlig unterschiedlich.

Berlin (SPD/CDU) hat die Kennzeichnungspflicht 2011 als erstes Land eingeführt. Die Beamten können wählen, ob sie eine individuelle Dienstnummer oder ihrem Namen auf der Kleidung tragen wollen. Auch Bereitschaftspolizisten sind anhand einer fünfstelligen Rückennummer identifizierbar. Ähnlich ist dies in Brandenburg (SPD/LINKE). Dort ist aber noch ein Rechtsstreit anhängig, in dem sich Polizisten gegen die Kennzeichnungspflicht wehren.

In Rheinland-Pfalz (SPD/Grüne) wird seit Anfang 2014 in geschlossenen Einheiten eine fünfstellige Nummer getragen. Jeder Beamte hat dabei drei Nummern zur freien Auswahl und kann sie umtauschen, wenn er sie für »verbrannt« hält. In Bremen (SPD/Grüne) ist gerade ein Erlass in Kraft getreten, der regelt, dass Polizisten bei geschlossenen Einsätzen fünfstellige Nummern haben. Auch hier werden die Nummern regelmäßig gewechselt.

Da wollen andere Länder erklärtermaßen noch hin: Ähnlich wie in Baden-Württemberg haben SPD und Grüne in Nordrhein-Westfalen vereinbart, dass eine individuelle, anonymisierte Kennzeichnung der Polizei bei geschlossenen Einsätzen eingeführt wird. Denselben Stand - also: Einführung geplant - gibt es in Niedersachsen (SPD/Grüne), Hessen (CDU/Grüne) und Schleswig-Holstein (SPD/Grüne/SSW).

Die restlichen Länder verzichten auf eine individuelle Kennzeichnungspflicht für Beamte und planen sie auch nicht. In Thüringen (CDU/SPD) werden taktische Zeichen getragen, die erkennen lassen, zu welcher Einheit der Polizist gehört.

Ähnlich ist dies in Sachsen-Anhalt (CDU/SPD), Sachsen (CDU/FDP) und Mecklenburg-Vorpommern (SPD/CDU). In Bayern (CSU) und Hamburg (SPD) existiert keine Kennzeichnungspflicht. Im Saarland (CDU/SPD) ist es erwünscht, aber keine Pflicht, dass Polizisten sowohl im Einzeldienst als auch bei Großeinsätzen Namensschilder tragen.

In Baden-Württemberg haben die Koalitionäre das Thema erst einmal auf den Herbst vertagt - in der Hoffnung, dass sachlicher mit den Gewerkschaften verhandelt werden kann, wenn die Personalratswahlen, also die Wahl von Mitarbeitervertretern im öffentlichen Dienst, vorbei sind. Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand beteuert, er sei zwar gesprächsbereit bei der Ausgestaltung, nicht aber bei der Kennzeichnungspflicht an sich: »Für mich ist das keine Frage des Ob, sondern eine Frage des Wie.« dpa/nd

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