Der Mann vom Lärmforschungsinstitut

Der New Yorker Gitarrensammler Thurston Moore spielte mit seiner neuen Band ein Konzert im Kreuzberger Lido

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit dem mittlerweile 56-jährigen Thurston Moore scheint es dieselbe Bewandtnis zu haben wie mit dem 67-jährigen Iggy Pop: Er altert nicht. Soll heißen: Beide bekommen zwar mehr und mehr Falten, machen aber sonst den Eindruck, noch genau dieselben fidelen Springinsfelde zu sein wie vor zwanzig, dreißig Jahren. Das ist schön und ohne Einschränkung zu begrüßen.

Schon als Moore, Mitbegründer, Sänger und Gitarrist der äußerst einflussreichen New Yorker Noise- und Kunstpop-Formation Sonic Youth, am Sonntagabend vor dem offiziellen Beginn seines Konzerts in Berlin kurzzeitig die Bühne des kleinen Veranstaltungssaals Lido betrat, um das an seinem Notenständer angebrachte Leselämpchen einzuschalten und an ein paar Kabeln zu hantieren, wurde er vom Publikum mit einem warmen Applaus begrüßt. Nein, der beinahe schüchtern wirkende Mann, der da am Boden kniend an irgendwelchen Steckern und Metallkästchen herumfummelte, will kein Star sein, so viel ist offensichtlich. Der Schlaks, der mit seinem blonden Wuschelkopf, seinem lose an ihm herabhängenden weißen Oberhemd und seinen Blue Jeans aussieht wie ein ewiger Bummelstudent, ist der Mensch, der in den frühen 80er Jahren den Pop mit dem Krach und der Kunstwelt versöhnt hat, bevor andere es taten, der Mentor der New Yorker Kunst- und Musikszene, der Entdecker von Nirvana.

Einem wie ihm, der seit 33 Jahren als Geräuschemacher bei der international führenden Gitarrenlärmforschungsinstitution tätig ist, muss man nicht mehr erklären, wie eine elektrische Gitarre dergestalt gehandhabt wird, dass ein komplexeres Klangbild entsteht als bei der Musik von Ricky King. Das weiß er schon.

»Der Sound von Sonic Youth sprengt die Grenzen und widersetzt sich der Logik konventioneller Rock-Songs. Viele Werke ähneln daher in ihrem Aufbau eher klassischer Musik«, wie es die für ihre holzschnittartigen und der Diktion von Kindergartentanten und -onkeln nachempfundenen Sätze bekannte Internet-Enzyklopädie Wikipedia auf ihre unnachahmliche Weise formuliert.

Entsprechend tat Moore, als er im komplett ausverkauften Kreuzberger Lido sein denkwürdiges Konzert gab, überwiegend das, wofür er so sehr geschätzt wird: Er spielte - gemeinsam mit einigen Gefährten, die er mitgebracht hatte - eine äußerst zeitgemäß wirkende, druckvoll daherkommende Rock’n’Roll-Musik, die sich nicht im altbackenen Strophe- und Refrain-Stumpfsinn erschöpfte und zu der nichtsdestotrotz nicht wenige Konzertbesucher in traumverlorenes Kopfnicken bzw. in eine Art Trance verfielen.

Während auf einer Leinwand im Bühnenhintergrund in Endlosschleife ein kurzer Filmausschnitt gezeigt wurde, in dem eine sich zur Faust schließende und wieder öffnende menschliche Hand zu sehen war, produzierte man einen energischen Noise-Rock-Sound, wobei Moore hie und da begann, sein Instrument auf diverse Arten zu malträtieren, etwa durch behutsames Rütteln am und Klopfen auf den Klangkörper oder Zerren am Tremoloarm, und fachkundig hübsche Rückkopplungseffekte durch das Auf- und Abbewegen des Instruments vor den Lautsprechern erzeugte. Auch die üblichen Kling-Klang-Spielereien und das hypnotisierende Gitarrengebrumm blieben an dem Abend nicht aus. Alles wie gehabt also.

Praktisch bekamen sowohl die zahlreich anwesenden grauhaarigen Herren mit Bierkrügen in der Hand als auch die aus Spanien und Frankreich angereisten dreidimensionalen Hipsterkarikaturen (Vollbart, Geckenhütchen, Vintage-Brille, Röhrenjeans, Jutetasche) geboten, was sie erwarteten: eine Art Sonic-Youth-Clubkonzert ohne vollständige Sonic-Youth-Besetzung.

Den eher konventionellen Song »The best day« etwa widmete Moore seiner Mutter (»As a songwriter you always have to reference your mother. If you want it or not«), ein mehrminütiges prächtiges atonales Störgeräuschmassaker hingegen war der Fotografin und RAF-Mitbegründerin Astrid Proll zugeeignet (»This one is for Astrid Proll«).

Sie böten neues Material dar, das erst im Oktober auf seinem neuen Album namens »The best day« erscheinen werde, teilte Moore dem Publikum mit. Die weibliche Kollegin und die beiden männlichen Mitmusiker, die er mitgebracht habe, seien »obviously a new group«, sagte er.

Das Projekt Sonic Youth ruht seit einigen Jahren: 2011 hatten Moore und seine Ehefrau und Sonic-Youth-Kollegin Kim Gordon sich nach 27 Jahren Ehe scheiden lassen.

Tatsächlich kann die Zusammensetzung von Moores neuer Band als rundum gelungen bezeichnet werden, auch weil es - sieht man einmal von dem britischen Gitarrenvirtuosen James Sedwards ab - streng genommen gar keine im handelsüblichen Sinn neue Gruppe ist, sondern eine, die geschickt aus Mitgliedern von zwei sagenumwobenen alten Gruppen zusammenkombiniert wurde, nämlich Thurston Moore und Steve Shelley (beide Sonic Youth) und der Bassistin Debbie Googe von der Formation My Bloody Valentine, die Ende der 80er Jahre auch völlig neue Wege einschlug, was den fortschrittlichen Umgang mit der E-Gitarre anging, und textlich-musikalisch die dunklen Seiten des menschlichen Daseins erkundete. Wir haben es also gewissermaßen mit einem späten Joint Venture von altgedienten Gitarrengeräuschforschern zu tun.

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