Lob von der falschen Seite

Ralf Klingsieck über die Unternehmerfreundlichkeit der französischen Regierung, Wirtschaftsreformen vergangener Tage und eine mögliche Spaltung der Sozialistischen Partei

  • Ralf Klingsieck
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn dich deine Gegner loben, hast du etwas falsch gemacht. Diese Worte, die vor mehr als 100 Jahren der SPD-Vorsitzende August Bebel geprägt hat, fielen einem unwillkürlich ein, wenn man am Mittwoch miterlebt hat, wie der sozialistische Premierminister Manuel Valls auf der Sommeruniversität des Unternehmerverbandes MEDEF mit stehenden Ovationen gefeiert wurde. So viel Beifall bekam nicht einmal 2007 an gleicher Stelle der gerade zum Präsidenten gewählte Nicolas Sarkozy. »Ich liebe die Unternehmen«, hat Valls ausgerufen, sich zur Marktwirtschaft bekannt und Entgegenkommen bei Lohnnebenkosten, Sonntagsarbeit oder den Vorschriften über Betriebsräte signalisiert. Er sagte auch gleich, wo er die Anregungen für solche Ideen gefunden hat: bei Gerhard Schröder. Den lobte er für seine »kühnen Reformen« und er bedauerte, dass »Frankreich seinerzeit nicht seinem Beispiel gefolgt ist«.

Doch besonderen Effekt bekamen die Worte des Premiers durch den Zusammenhang mit der Regierungsumbildung vom Vortag, als der aufmüpfige Arnaud Montebourg, der im Kabinett den linken Flügel der Sozialisten vertrat, durch den bekennenden Sozialliberalen Emmanuel Macron ersetzt wurde. Während Montebourg die Globalisierung der kapitalistischen Weltwirtschaft angeprangert und zusammen mit der überzogenen Sparpolitik für die Verlängerung der Krise und die Verschlechterung der Lebenslage der Mehrheit der Franzosen verantwortlich gemacht hatte, verteidigte Valls vor den Unternehmern sowohl die Globalisierung als auch die Sparpolitik.

In den Medien wird jetzt viel über den neuen Wirtschaftsminister Macron spekuliert. Ihm anzukreiden, dass er vier Jahre lang als Direktor bei der Bank Rothschild gearbeitet hat, zeugt von einer durch Scheuklappen eingeengten Sichtweise. Schließlich hat der PS-Politiker Henri Emmanuelli sogar neun Jahre bei Rothschild gejobbt und trotzdem ist er heute einer der Sprecher des linken Flügels der Partei und verteidigt deren sozialistische Traditionen. Bedenklicher ist, dass sich Macron in Interviews noch vor seiner Ernennung zum Minister für die Lockerung der 35-Stunden-Woche und die Abschaffung des Mindestlohns SMIC ausgesprochen hat.

Man erinnert sich, dass die Linksregierung 1997 bis 2002 unter Premier Lionel Jospin mehr Staatsbetriebe privatisiert hat als die drei vorangegangenen rechten Regierungen zusammen. Sie hat die Ausgabe von Aktienoptionen gefördert und den Unternehmen massiv die Steuern gesenkt, aber immerhin hat sie auch die 35-Stunden-Arbeitswoche eingeführt. Dass dieses Symbol sozialen Fortschritts den Rechten seit Jahren ein Dorn im Auge ist, verwundert nicht. Aber wenn es jetzt durch eine Regierung angetastet wird, die sich immer noch links nennt, dann ist das symptomatisch. Diese Regierung schanzt den Unternehmern 41 Milliarden Euro zu, in der vagen Hoffnung, dass dies zu Investitionen, Aufschwung und Arbeitsplätzen führt.

Doch die Realitäten sehen anders aus: Frankreich verzeichnete im ersten Halbjahr ein Nullwachstum, die Neuverschuldung liegt bei vier Prozent und wird so bald nicht unter die Drei-Prozent-Schwelle der Europäischen Union zurückkehren. Um die Staatsverschuldung zu senken, die nahezu 100 Prozent des Bruttosozialprodukts entspricht, werden 50 Milliarden Euro an öffentlichen Ausgaben gestrichen, obwohl das erwiesenermaßen die Krise nur noch verschlimmert. In der Amtszeit von Präsident François Hollande ist die Zahl der Arbeitslosen um 500 000 gestiegen und liegt jetzt bei 3,4 Millionen. De facto hat das Kabinett Valls schon seine Parlamentsmehrheit und damit die Fähigkeit zum Regieren verloren, denn mehr als 30 »Dissidenten« in der 290 Sitze starken PS-Fraktion stemmen sich gegen den Rechtsschwenk der Regierung und der Parteiführung.

Wenn sie zusammen mit Linksfront und Grünen - ganz abgesehen von der rechten UMP und dem Zentrum - bei der Vertrauensfrage der Regierung ihr Misstrauen aussprechen, kann diese nur noch provisorisch per Dekret regieren. Dann stellt sich tatsächlich die Frage nach einer Auflösung des Parlaments und Neuwahlen, so wie es heute schon siegesgewiss die UMP und die Front National fordern. Damit verbunden wäre aber wohl auch eine Spaltung der Sozialistischen Partei und eine Neuverteilung der Kräfte zwischen reformistischen und radikalen Linken.

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