Jugendliche Wähler

Zwei Politiker mit den »Wahlweckern« bei Schülern im Leonardo da Vinci Campus Nauen

Erstmals dürfen sich 16- und 17-Jährige in Brandenburg an einer Landtagswahl beteiligen. Eine Kampagne bemüht sich darum, dass sie es auch tatsächlich tun.

Was sollte der Moderator einer Podiumsdiskussion keinesfalls tun? »Nicht ins Mikrofon rülpsen«, sagt jemand. Ein Mädchen kichert. Stephan Wende lächelt fein. Dann arbeiten alle Schüler wieder ernsthaft an ihrer Aufgabe. Es ist Montag, kurz nach zehn Uhr auf dem Leonardo da Vinci Campus, einer Privatschule, gelegen in einem Industriegebiet in Nauen im Landkreis Havelland. Nebenan in der Schulbibliothek wartet schon die Landtagsabgeordnete Ursula Nonnemacher (Grüne). Gleich soll noch Finanzminister Christian Görke (LINKE) eintreffen. Dann kann die Diskussion beginnen. Die Schüler überlegen sich ihre Fragen.

Am 14. September wird in Brandenburg ein neuer Landtag gewählt. Zu den 2,12 Millionen Wahlberechtigten gehören auch 38 000 Jugendliche, weil erstmals bei einer Landtagswahl in Brandenburg auch 16- und 17-Jährige ihre Stimme abgeben dürfen. SPD, LINKE und Grüne änderten mit Zwei-Drittel-Mehrheit die Verfassung und sorgten dafür, das Brandenburg nach Bremen als zweites Bundesland das Wahlalter absenkte. Im Vorfeld gab es Befürchtungen, dass die Jugend desinteressiert ist. Eine Kampagne versucht, Schüler und Lehrlinge aufzuklären und zur Wahl zu animieren. Dabei mischen die sogenannten Wahlwecker mit. Stephan Wende ist ihr Ansprechpartner. Auf dem Campus in Nauen fallen seine Bemühungen auf fruchtbaren Boden. Die hiesigen Schüler der 10. und 11. Klasse möchte am 14. September eigentlich alle wählen gehen. Einige dürfen nicht, weil sie Berliner sind. Andere sorgen sich, ob sie reif sind, die richtige Wahlentscheidung zu treffen. Die Abgeordnete Nonnemacher findet es »toll«, dass sich die Mädchen und Jungen solche Gedanken machen. Denn viele Erwachsene machen sich gar keine Gedanken, weiß sie.

Als der heutige Finanzminister Christian Görke 16 Jahre alt war, da war er nicht in der Lage, sich ernsthaft mit politischen Inhalten auseinander zu setzen. Das gesteht 52-Jährige freimütig. Nonnemacher, die aus dem Westen stammt, berichtet dagegen stolz von Schülerstreiks und von kommunistischen und feministischen Schülergruppen im Wiesbaden der 1970er Jahre. Sie selbst gründete dort bereits als 13-Jährige eine solche Gruppe.

Die 60 jungen Zuhörer verblüffen mit Detailkenntnissen, fragen nach Wirtschaftsförderung und Energiepolitik. Sie haken nach, wenn sie mit einer Antwort unzufrieden sind. An dieser Schule befassen sich die 11. und 12. Klassen die Hälfte ihrer Unterrichtszeit mit einem Spezialthema. Dazu werde ausgesucht, was die Rahmenlehrpläne hergeben, erläutert Schulleiter Olaf Gründel.

Die Fragen an die Politiker formulierte die Wirtschafts- und Nachhaltigkeitsklasse. Kurz handeln die beiden Moderatoren die Bildungspolitik ab, fragen nach Unterrichtsausfall und Lehrermangel. Davon haben sie von Altersgefährten aus staatlichen Schulen gehört. In ihrer Privatschule existiert dieses Problem nicht. Als die Diskussion schon beim Atomausstieg ist, kann sich Irene Petrovic-Wettstädt nicht mehr zurückhaften. Sie ist Geschäftsführende Gesellschafterin des zwölf Gebäude umfassenden Campus mit Kita, Abenteuerspielplatz und Hörsaal, mit Grund- und Gesamtschule, mit Gymnasium und Internat. Sie ist außerdem Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft freier Schulen in Brandenburg. Sie will die Gelegenheit nutzen und die Politiker festnageln, da die Schüler dies nicht tun. Zehn Millionen Euro Zuschuss habe die rot-rote Koalition den freien Schulen im Land gekürzt. Wie wollen Nonnemacher und Görke nach der Landtagswahl damit umgehen?

Nonnemacher fällt die Antwort leicht. Die Grünen halten die Kürzungen für »inakzeptabel« und waren dagegen, erinnert die Abgeordnete knapp. Görke muss ausholen. Während 200 staatliche Schulen geschlossen werden mussten, eröffneten 47 private. Brandenburg gebe immer mehr Geld für Bildung aus, unter dem Strich auch mehr Geld für die freien Schulen. Gekürzt wurde jedoch der Zuschuss pro Privatschüler. Dies habe insbesondere freie Grund- und Berufsschulen getroffen. Sie sind »überproportionalen Belastungen« ausgesetzt, räumt Görke bereitwillig ein. Hier gebe es Diskussionsbedarf, stellt der Minister eine Verbesserung vage in Aussicht. Für die LINKE stellt er klar: »Wir wollen alle Schulen am Netz halten, ob privat oder staatlich.« Bisher musste keine freie Schule schließen. Der Campus in Nauen, der einen ausgezeichneten Ruf genießt, wächst und wächst.

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