Ramelow beharrt auf historischem Wählerauftrag

SPD ringt um Fassung und Erklärungen

  • Hans-Gerd Öfinger, Erfurt
  • Lesedauer: 4 Min.
Alles offen in Erfurt: Mitte-Links- oder Große Koalition, theoretisch ist auch eine Regierung aus CDU, AfD und Grünen möglich. Linkskandidat Bodo Ramelow glaubt trotzdem fest an seinen Wählerauftrag.

Die LINKE hat Grund zur Freude. Sie hat leicht zugelegt gegenüber der vergangenen Wahl im Jahr 2009. Auch wenn es nur rund ein halbes Prozent ist. Um die 28 Prozent sind es, die der Wähler ihr zugesprochen hat. Zum Jubeln ist allerdings vorerst noch kein Grund. Vor allem deshalb nicht, weil der Wunschpartner für eine Mitte-Links-Regierung in Erfurt, die SPD, kläglich abgerutscht ist.

Spitzenkandidat Bodo Ramelow lässt sich die gute Laune am Wahlabend trotzdem nicht verderben. »In Thüringen kann parlamentarische Geschichte geschrieben werden«, zeigt er sich überzeugt - und das unter dem Jubel seiner Anhänger. Die Thüringer LINKE hat sich bei allen Landtagswahlen seit 1990 stetig verbessert - von zunächst 9,7 Prozent auf zuletzt 27,4 Prozent im Jahre 2009. Damit bleibt sie Spitzenreiter unter allen Landesverbänden der Partei.

Ramelow sagt die Spannung eines Tatort-Krimis für den Rest des Abends voraus. »Der Wahlabend ist nicht lang, das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange«, erklärte auch Fraktionsvizechefin Margit Jung (LINKE). Susanne Hennig-Welsow, Landeschefin der Linkspartei, gab der Hoffnung Ausdruck, »dass es für Rot-Rot-Grün reicht«.

Ob es am Ende für eine stabile Mehrheit an Sitzen zugunsten des von Ramelow und seiner Partei angestrebten Bündnisses mit SPD und Grünen reichen würde, stand erst nach Redaktionsschluss fest. Mit dem rechnerischen Kopf-an-Kopf-Rennen in Hochrechnungen zwischen den hypothetischen Lagern von CDU und AfD einerseits und Linkspartei, SPD und Grünen andererseits bei einem hauchdünnen Vorsprung von Rot-Rot-Grün manifestierte sich in Thüringen eine faktische Schwächung des rot-rot-grünen Lagers. 2009 hatten die drei Mitte-Links-Parteien in der Summe noch eine absolute Stimmenmehrheit von über 52 Prozent errungen. Diesmal waren es bei Redaktionsschluss nur noch rund 46 Prozent gegenüber knapp 45 Prozent für das bürgerlich-rechte Lager.

Das Debakel der SPD, die nach Hochrechnungen bei Redaktionsschluss noch deutlich unter ihren bisherigen historischen Thüringer Tiefstand von 14,5 Prozent bei der Landtagswahl 2004 abgesackt sein dürfte, deutete sich schon vor 18 Uhr an. Etliche SPD-Insider, die gegen 17 Uhr erste inoffizielle Prognosen vernommen hatten, zogen sich zur Klausur in ihre Fraktionsbüros zurück. Der Fraktionssitzungssaal im Erdgeschoss unweit des stark frequentierten Raums des bisherigen Koalitionspartners CDU blieb dunkel. In der Dämmerung starrte ein nachdenklicher Willy Brandt von einer Bronzestatue auf die gähnende Leere. Derweil zeigte sich der um Worte ringende Fraktionschef Werner Pidde vor laufenden Kameras »enttäuscht« und kündigte an, man werde zuerst »in Ruhe in den Gremien die Gründe analysieren« und dann »weiter sehen«.

Dass die Rolle als Juniorpartner in einer Koalition mit der CDU der Thüringer SPD schon zum zweiten Mal in der jüngeren Geschichte massive Verluste bescherte, brachte der frühere Geraer Oberbürgermeister Norbert Vornehm auf den Punkt. Damit seien die von ihm 2009 geäußerten Befürchtungen eingetreten, so Vornehm. Er hatte 2009 zusammen mit dem Erfurter OB Andreas Bausewein und den Jusos gegen das Regierungsbündnis mit der Union opponiert, sich aber gegen SPD-Landeschef Christoph Matschie nicht durchgesetzt. »Wir wurden als Dritte im Bunde zerrieben und gerieten angesichts des Duells zwischen Lieberknecht und Ramelow zwischen oder unter die Räder«, erklärte Bausewein gegenüber nd. »Es war kein Fehler, keine Koalitionsaussage zu treffen«, verteidigte SPD-Spitzenkandidatin Heike Taubert den Kurs ihrer Partei.

SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel sieht demgegenüber die Verantwortung für das schlechte Abschneiden seiner Partei beim Thüringer Landesverband. Ein möglicher Grund könnte das Nicht-Festlegen auf einen Regierungspartner sein, mutmaßte Gabriel.

»Die Briefwahlstimmen sind noch nicht ausgezählt«, riet auch die Landtagsabgeordnete Katharina König (LINKE) nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnung zum Abwarten. Auf jeden Fall werde ihre Fraktion nun der neu in das Parlament einziehenden AfD-Fraktion »den Schafspelz ausziehen und offenlegen, wer die wirklich sind«, kündigte die Obfrau ihrer Fraktion im NSU-Untersuchungsausschuss gegenüber nd an. Offensichtlich habe die SPD in fünf Jahren Regierungsarbeit nicht einmal die positiven Seiten ihrer Bilanz nach außen verkünden können und im Wahlkampf darauf verzichtet, sich eindeutig für einen Regierungswechsel ohne Union zu positionieren. »Das ist ihr jetzt auf die Füße gefallen«, so König. Grünen-Landesvorsitzende Anja Siegesmund freute sich über den Wiedereinzug ihrer Partei. »Vielleicht schaffen wir ja sogar noch den Politikwechsel, den wir uns alle wünschen«, erklärte sie.

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