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Sparen auf Kosten von Flüchtlingen

Ein Papier des nordrhein-westfälischen Innenministeriums fordert weitere Privatisierungen

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Privatisierung von Dienstleistungen in Flüchtlingseinrichtungen führt zu Missständen, wie sich derzeit in NRW zeigt. Doch die Landesregierung setzt offenbar weiter auf das Motto »Privat vor Staat«.

Nach nd-Recherchen strebt das von Rot-Grün regierte Nordrhein-Westfalen die weitere Privatisierung von Flüchtlingseinrichtungen an. So heißt es in einem Bericht einer vom Landesinnenministerium (MIK) eingesetzten Projektgruppe: »Das MIK soll unter Berücksichtigung der bundesweit mit vergleichbaren Projekten gesammelten Erfahrungen prüfen, ob die Planung, die Herstellung, die Finanzierung und die Erhaltung von Aufnahmeeinrichtungen generell oder im Einzelfall privatisiert werden kann.« Und weiter: »Diese Prüfung soll sich auch darauf beziehen, ob sich der Betrieb vorhandener Einrichtung stärker als bisher privatisieren lässt.«

Diese Zeilen aus dem vor einem halben Jahr vorgelegten Bericht gewinnen im Rückblick eine hohe Brisanz: Die beiden wegen gewalttätiger Übergriffe von privatem Sicherheitspersonal in der Kritik stehenden zentralen Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge in Burbach und Essen werden nicht von staatlichen Stellen oder von Wohlfahrtsverbänden betreut, sondern von dem privaten und gewinnorientierten Anbieter European Homecare GmbH.

In beiden Fällen betraute das in Essen ansässige Unternehmen die Nürnberger SKI Wach- und Sicherheitsgesellschaft mbH mit Sicherheitsaufgaben, die diese wiederum von einem Subunternehmer erledigen ließ, der polizeibekannte Gewalttäter als »Sicherheitsleute« einstellte. Was danach geschah, prägt derzeit die Schlagzeilen der Republik.

Das besonders in der Kritik stehende Aufnahmelager in der einstigen Siegerlandkaserne in Burbach wurde im September 2013 eröffnet. Offenbar praktizierte Rot-Grün bereits damals einen Kurs, dessen scheinbare Angemessenheit die Projektgruppe des Innenministeriums wenig später gleichsam wissenschaftlich absegnen sollte.

Die privatisierungsfreundliche Projektgruppe trägt den Namen »Unterbringung von Asylbewerbern in nordrhein-westfälischen Aufnahmeeinrichtungen«. Geleitet wird sie von Georg Nagel, der als Referatsleiter im Innenministerium zuständig ist für die Bereiche Ausländer, Asyl und Extremismus. Eingesetzt hatte sie der 2013 aus diesem Amt geschiedene Innenstaatssekretär Hans-Ulrich Krüger, der nunmehr als SPD-Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschuss in Berlin weilt.

Im Falle von Privatisierungen, so rät das Papier der Projektgruppe, sollten »die hoheitlichen Aufgaben der Aufnahmeeinrichtungen bei der öffentlichen Hand verbleiben«. Betroffen wären »lediglich Aufgaben des operativen Bereichs«, sofern sie »privatwirtschaftlich effizienter und wirtschaftlicher organisiert werden« können. Dazu könnten laut Papier »die Planung, Herstellung, Finanzierung, Betrieb und Erhaltung von Aufnahmeeinrichtungen generell oder im Einzelfall« zählen. Angedacht ist also ein Modell von Public Private Partnership, das über die bisherige Praxis hinausweist. »Privat vor Staat« - das Motto des einstigen Regierungschefs Jürgen Rüttgers (CDU) lebt unter seiner Amtsnachfolgerin Hannelore Kraft (SPD) fort. Und sei es auf Kosten von Schutzbedürftigen.

European Homecare war laut »Spiegel Online« schon in früheren Jahren wegen erheblicher Missstände in einer Flüchtlingsunterkunft in Traiskirchen (Österreich) aufgefallen. Das Medium zitiert den dortigen Bürgermeister Fritz Knotzer (SPÖ) mit den Worten: »Seit der Privatisierung der Flüchtlingsbetreuung im Lager sind Gewalt, Totschlag, Vergewaltigung und Korruption an der Tagesordnung. Es ist ein einziges Chaos.«

Offenbar hat niemand den Namen des Anbieters gegoogelt, bevor er engagiert wurde. Dabei betreibt European Homecare in Deutschland 40 Einrichtungen für Flüchtlinge. Auf seiner Website wirbt das Unternehmen mit seiner »Effektivität« und »Flexibilität« sowie seinem »Kostenbewusstsein«. Viel spricht dafür, dass European Homecare trotz des Zwangs zur Gewinnerwirtschaftung tatsächlich preisgünstigere Leistungen als der Staat und Wohlfahrtsverbände anzubieten vermag - allerdings auf Kosten der Qualität, der Menschlichkeit und der Breite der Leistungen.

NRW setzt keine gesetzlichen Mindeststandards für die Qualität der sozialen Dienstleistungen in Flüchtlingsunterkünften. Diese Praxis habe sich bewährt, heißt es im Bericht der Projektgruppe des Innenministeriums. Qualitative Standards sollten weiter »ausschließlich durch die Möglichkeiten des Vergabeverfahrens« gesetzt werden, fordern die Bürokraten. Denn »im Falle gesetzlicher Vorgaben« sei zu erwarten, dass die Anbieter »sich darauf beschränken werden, gesetzliche Mindeststandards zu erfüllen«. Angesichts des im Raume stehenden Vorwurfs schwerer Straftaten wirken diese Zeilen zynisch.

Dem Vorwurf, die Kontrollen des Personals in den Asyleinrichtungen seien zu lax gewesen, begegnen das Land, die zuständige Bezirksregierung Arnsberg und der Anbieter European Homecare mit immer neuen Sofort-, Sieben-Punkte- und sonstigen Programmen. »Künftig wird in unseren Landesunterkünften nur noch Sicherheitspersonal beschäftigt, das auf freiwilliger Basis einer Sicherheitsüberprüfung durch Polizei und Verfassungsschutz zustimmt«, schlug nun NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) vor. Dieses Verfahren werde jetzt von der Bezirksregierung auf den Weg gebracht. Damit würde immerhin ein Mangel behoben, der insbesondere vom Bundesverband der Sicherheitswirtschaft kritisiert wird.

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