Grünling kommt nicht mehr ins Körbchen
Wer Pilze sammeln und essen möchte, sollte auf dem neuesten Stand in der Bewertung der Waldfrüchte sein
Der grüne Knollenblätterpilz soll eine wahre Gaumenfreude sein, ist aber hochgiftig. »Schon der Verzehr eines einzigen Exemplars kann zum Tod führen«, warnt Alfred Hussong, Vizepräsident der Bayerischen Mykologischen Gesellschaft. Giftpilze brauchen also nicht bitter zu sein. Auch mit anderen einfachen Methoden kommt man ihnen nicht auf die Spur: Weder am Schneckenfraß noch an einem Silberlöffel, der beim Kochen des Pilzgerichts blank bleibt, kann man erkennen, ob die Gewächse giftig sind. Daher predigen Experten jeden Herbst: Nur mit Erfahrung und guten Pilzbüchern lassen sich die Waldfrüchte sicher bestimmen. Das Problem ist nur: Auch darauf kann man sich nicht hundertprozentig verlassen. Denn einige Pilze, die zu Großvaters Zeiten noch als essbar galten, stehen inzwischen auf der Liste der Giftpilze. Laufend kommen weitere Arten hinzu.
Eines der prominentesten Beispiele ist der giftige Kahle Krempling. Der braune Lamellenpilz wurde bis in die 1950er Jahre als guter Speisepilz empfohlen und gerade in Osteuropa massenhaft gesammelt. In den Kriegs- und Nachkriegsjahren war der Pilz als billiges Nahrungsmittel sehr geschätzt. In Publikationen der 60er Jahre gab man immerhin den Tipp, den Pilz lange zu garen, da er roh giftig sei. Allerdings haben auch stundenlang gekochte Kremplinge ein tödliches Potenzial. Wie der Giftpilz-Experte Harry Andersson von der Deutschen Gesellschaft für Mykologie (DGfM) berichtet, löst der Pilz mitunter heftige Brechdurchfälle aus. Gefährlicher ist eine weitere Wirkung: Der Kahle Krempling kann zur Bildung von Antikörpern führen. Mit jeder Mahlzeit wird die allergische Reaktion des Körpers stärker, schlimmstenfalls endet sie tödlich. Sogar ein bekannter deutscher Mykologe, Julius Schäffer, starb 1944 an diesem »Paxillus-Syndrom«. Seine Frau, die vom selben Gericht gegessen hatte, blieb dagegen frisch und munter. Offensichtlich gibt es Menschen, denen der Krempling nichts anhaben kann - auch wenn sie ihn jahrelang essen. Das machte es den Mykologen schwer, dem Übeltäter auf die Spur zu kommen. Erst seit den 1980er Jahren wird in Deutschland einhellig vor dem Pilz gewarnt. »Ich habe bei Führungen Zuwanderer aus Russland kennengelernt, die den Kahlen Krempling immer noch essen«, erzählt Andersson.
- Sammeln Sie nur Pilze, die Sie ganz genau kennen.
- Lassen Sie einen unbekannten Pilz von einem geprüften Pilzsachverständigen bestimmen, bevor Sie ihn essen.
- Anfänger beschränken sich am besten auf Röhrenpilze. Unter ihnen gibt es keine tödlich giftigen Arten.
- Nehmen Sie keine ganz jungen Exemplare, da sie sich manchmal schlecht bestimmen lassen. Lassen Sie alte und angeschimmelte Pilze stehen.
- Bewahren Sie die Pilze in luftigen Körben, nicht in Plastiktüten auf. Pilze verderben schnell.
- Achten Sie auch beim Kauf von Pilzen auf Frische.
- Bereiten Sie die Pilze möglichst noch am selben Tag zu. Sie sollten sie mindestens eine Viertelstundebei 70 bis 80 Grad erhitzen. Achten Sie bei großen Mengen darauf, dass wirklich alle Pilze ausreichend gegart wurden. Pilze nie roh essen, da manche Arten dann giftig oder schwer verdaulich sind.
- Vorsicht bei Alkohol: Der Faltentintlingwirkt in Verbindung mit Alkohol giftig. Daher sollte man vorund bis zu fünf Tage nach einer Faltentintlings-Mahlzeit nichts Alkoholisches trinken.
- Eine Pilzmahlzeit darf, anders als oft behauptet, grundsätzlich noch ein zweites Mal erhitzt werden. In der Zwischenzeit muss sie allerdings kalt gestellt werden.
- Bei Verdacht auf eine Vergiftung sollten Sie unverzüglich den Giftnotruf, z.B. der Berliner Charité, Tel. (030) 19240, wählen. Versuchen Sie nicht, Erbrechen auszulösen! Stellen Sie zur Bestimmung Pilzreste sicher. as
Menschen reagieren unterschiedlich auf Pilze. Kommt noch hinzu, dass sich die Symptome manchmal erst sehr spät zeigen - etwa beim tödlich giftigen Organgefuchsigen Raukopf. Der Pilz enthält Orellanin, das sich manchmal erst nach 14 Tagen bemerkbar macht und die Nieren schädigt. Lange galt aber auch er als essbar. »Erst in den 50er Jahren fiel einem aufmerksamen Arzt aus Schlesien auf, dass es in bestimmten Gegenden Jahr für Jahr serienweise Fälle von Niereninsuffizienz gab«, berichtet Prof. Siegmar Berndt, Toxikologe bei der DGfM. Der Mediziner fand damals heraus, dass die Patienten zuvor alle den Raukopf gegessen hatten. Auch in Tierversuchen zeigte sich dann, wie giftig der Pilz ist. In jüngster Zeit hat sich die Einschätzung mehrerer Pilze geändert. So gilt der Grünling, der in Deutschland bis 2001 als Marktpilz zugelassen war, mittlerweile als giftig. Nach schweren, zum Teil tödlichen Vergiftungsfällen in Frankreich und Polen wurde der Pilz, der früher als »hervorragend« galt, neu bewertet. »Erst wenn man den Pilz an mehreren Tagen hintereinander in großen Mengen verzehrt, kommt es zu einer Vergiftung«, erklärt Berndt. Sie äußert sich als Rhabdomyolyse, dem Zerfall von Muskeln.
Vor kurzem ist ein Verwandter des Grünlings in Verdacht geraten: Seit Juni gilt der Erdritterling, der bis dahin ebenfalls als essbar eingestuft wurde, als giftverdächtig. Chinesische Forscher haben in ihm giftige Substanzen entdeckt. »Die Stoffe haben aber nur eine geringe Toxizität und wirken offenbar nur in Kombination«, sagt Berndt. »Von Vergiftungsfällen weiß man bislang nichts.« Daher ist für den Toxikologen auch noch nicht erwiesen, dass der Erdritterling wirklich giftig ist.
Vermutlich wurde der dunkelhütige Lamellenpilz ohnehin nicht oft gegessen. Bitterer ist es für Sammler da schon, dass sogar Morcheln Probleme bereiten können: Den Genuss großer Mengen frischer Exemplare müssen manche Menschen nämlich mit neurologischen Symptomen wie Zittern, Schwindel und Bewegungsstörungen bezahlen. »Das Morchella-Syndrom ist allerdings sehr selten«, beruhigt Andersson.
Auch die Röhrlinge, bei denen sich Pilzsammler bislang weitgehend sicher fühlten, sind nicht mehr das, was sie einmal waren. Da wäre zum Beispiel der Butterpilz, der früher ohne Bedenken im Kochtopf landete. »Einige Leute reagieren auf den Butterpilz mit Magen-Darm-Beschwerden«, sagt Andersson. In den nächsten Jahren könnten sich noch weitere Arten als giftig oder zumindest verdächtig entpuppen. Daher raten Experten, sich nur auf neue Pilzbücher zu verlassen und sich im Zweifel an einen Pilzsachverständigen zu wenden. Weil jeder Mensch auf Pilze anders reagiert, rät Hussong außerdem: »Wenn man eine neue Art anpackt, sollte man sie erst mal allein, also nicht im Mischgericht, probieren und schauen, wie man sie verträgt.«
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