Den Kamin kehren

Ein Sammelband resümiert das Interkultur-Projekt »Selam Opera!« der Komischen Oper

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 4 Min.

Zu den wenigen (Post-)Migranten türkischer Abstammung, die es geschafft haben, im bundesdeutschen Kulturbetrieb nachhaltig zu reüssieren, gehört Feridun Zaimoglu. Der Schriftsteller stand nicht nur in diesem Jahr mit seinem Roman »Isabel« auf der Longlist des Deutschen Buchpreises, er darf sich obendrein Träger zahlreicher Auszeichnungen nennen und heimste 2003 sogar den Jurypreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb ein. Einfach war es für ihn allerdings nicht, so weit zu kommen. Als Schüler wurde er zunächst ob seiner Herkunft gehänselt, später aufgrund seiner hervorragenden Deutschkenntnisse als »schlau gewordenes Türkenkind« verspottet. Wie man’s macht, man macht es falsch. Lange hat es gedauert, bis der heute 49-Jährige sich überhaupt für die schöne Literatur, die Kunst und das Theater begeistern konnte.

Allzu viel hat sich für Menschen mit ähnlicher Herkunft wie Zaimoglu bis jetzt nicht verändert. Die Tore der sogenannten Hochkultur stehen den wenigsten dieser Leute offen. Versuche, eine neue Richtung einzuschlagen, liefert seit 2011 die Komische Oper Berlin. Mit dem Ziel, das eigene Haus interkulturell zu öffnen, initiiert man dort immer wieder Projekte insbesondere mit dem Fokus auf die türkeistämmigen Berliner. Im Frühjahr 2014 veranstaltete das Haus ein Symposium mit dem Titel »Selam Opera!«, was so viel heißt wie »Hallo Oper!«. In einem soeben erschienenen Sammelband finden sich die wichtigsten Resultate und Reflexionen der Veranstaltung wieder. Neben informativen Texten über die türkische Musikgeschichte oder verschiedene wissenschaftliche Teilhabe-Begriffe enthält der Band auch einen lesenswerten Beitrag von Ahmed Shah und Nils Erhard vom JugendtheaterBüro Berlin über den »Problembezirk Hochkultur«.

Klar und deutlich kritisieren sie darin die nach wie vor fehlende gesamtgesellschaftliche Debatte über den strukturellen Rassismus in Deutschland. Kulturelle Institutionen müssten »sich fragen, wie sie selbst in die Reproduktion dieser Strukturen, Bilder und Diskurse eingebunden sind, wenn sie fast ausschließlich von Angehörigen der weißen Mittelschicht besetzt sind«. Deshalb sei es umso wichtiger, »Räume für eine Gegenöffentlichkeit zu erstreiten und zu erweitern«. Dass diese auch in etablierten Kultureinrichtungen eingefordert werden müssen, prononciert die Musiktheaterpädagogin Anne-Kathrin Ostrop von der Komischen Oper.

Die Haltung der BRD-Politik, Gastarbeiter nur für eine begrenzte Zeit im Land zu dulden, habe »heute das migrantische Theater fast ausschließlich in der freien Szene eine Heimat« gefunden. Um dem entgegenzuarbeiten, wolle sie den Anspruch ihres Hauses, eine »Oper für alle« zu sein, konsequenter verwirklichen. Sofortmaßnahmen seien unter anderem »zielgruppenspezifische Vermittlungsmaßnahmen sowie das Angebot türkischer Übersetzungen der Libretti in den Untertitel-Displays« gewesen. Ebenso habe man »Werkeinführungen, Probenbesuche, Führungen hinter die Kulissen« angeboten und an einer »sozialverträglichen Preisstruktur« gearbeitet.

Als größte Wegmarke gilt die deutsch-türkische Kinderoper »Ali Baba und die 40 Räuber«, die 2013 auf der großen Bühne uraufgeführt wurde. Ein ideales interkulturelles Projekt: Instrumente wie Zurna oder Kaval trafen hier auf Oboe und Querflöte, ebenso ergänzten sich deutsche und türkische Textpassagen gegenseitig. Zudem eröffnete die Inszenierung nicht nur Menschen türkischer Herkunft den Zugang zu deutscher Hochkultur, auch deutsche Operngänger wurden mit türkischer Musikkultur konfrontiert.

Aber nicht nur die große Bühne wird nach dem Motto »Selam Opera!« eifrig bespielt, die Komische Oper besuchte ihre Zielgruppe auch schon höchstselbst. So setzten sich sechs Personen inklusive Kontrabass in den nach einem türkischen Sammeltaxi benannten »Operndolmuş« und trugen ein reichhaltiges musikalisches Vermittlungsprogramm in interkulturelle Begegnungsstätten, Migrantenorganisationen oder Bildungseinrichtungen in Stadtteilen mit hohem Anteil an Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen. An mehreren Stellen betonen die Autoren des Bandes, es dürfe bei solchen Projekten nicht etwa um Partizipation, Inklusion oder Integration in ein System, das die alltägliche Fremdbestimmung des migrantischen Lebens fortführt, gehen. Vielmehr, so Shah und Erhard, gehe es um den »Aufbau von realen eigenen betrieblichen Strukturen, die Entwicklung von theoretischen und praktischen Ansätzen und Eigenproduktion von Kultur, die ein zentrales Ziel hat: die individuelle und kollektive Selbstbestimmung von und mit Marginalisierten zu stärken«.

Bislang nämlich wird in der Tat vorwiegend versucht, den an den gesellschaftlichen Rand Gedrängten die umjubelte Hochkultur durch ein bloßes Überstülpen deutsch-bürgerlicher Normen näherzubringen. Ihre eigene Sicht, ihr eigenes Erleben, ihre eigenen Wünsche und ihre Kreativität bleiben dabei allzu oft auf der Strecke. Feridun Zaimoglus Tanten dagegen scheinen kluge Frauen zu sein. Empfahlen sie ihm doch, wie er in seinem schönen Beitrag erzählt, »Sprosse für Sprosse die Leiter hoch zu klettern. Welche Leiter? ›Sie meinen die Hochkultur‹, sagte Mutter. Und was tat ich, wenn ich auf der obersten Sprosse stand? Großmutter sagte: ›Dann springst du auf das Dach und kehrst den Kamin‹. Ich verstand«.

Komische Oper Berlin (Hg.): Selam Opera! Interkultur im Kulturbetrieb. Henschel. 184 S., brosch., 16,95 €.

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