Privatfirmen im Gefängnis

Kritiker warnen vor einem »bestrafungsindustriellen Komplex«

  • Robert Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.
In Deutschland sollen immer mehr Gefängnisse teilprivatisiert werden. Senkt dies wirklich die Kosten, wie Befürworter behaupten?
In den USA boomt die dort nicht unumstrittene private Gefängniswirtschaft. Auch in Deutschland wird jetzt versucht, Haftanstalten in Teilen zu privatisieren. Befürworter versprechen sich davon eine Senkung der Kosten. Gegner fürchten, dass die Resozialisierung von Gefangenen darunter leiden könnte.

Vollprivatisierung nicht möglich
Das Auslagern von Kernaufgaben des Staates ist umstritten. Eine Vollprivatisierung von Gefängnissen ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich. Die erste weitgehend teilprivatisierte Justizvollzugsanstalt ist das Gefängnis Hüne in Hessen. Betrieben wird es seit Anfang dieses Jahres in vielen Bereichen von der börsennotierten britischen Serco-Group; der Vertrag läuft über fünf Jahre. Das Outsourcing-Unternehmen, das 1999 die Daimler-Tochter Elekluft übernahm, hat sich auf öffentlich-private Partnerschaften spezialisiert. Über 35 000 Mitarbeiter in 36 Ländern bieten Leistungen wie Verwaltung und Betrieb von Krankenhäusern, Schulen, aber auch für Flughäfen, Bahngesellschaften, in der militärischen Luftraumüberwachung und im Justizwesen an. In England übt Serco Dienstleistungen in vier Gefängnissen aus und ist an der Erprobung neuartiger Vollzugsmethoden wie der elektronischen Überwachung von Leichtkriminellen beteiligt, die im freien Vollzug mit einem Chip ausgestattet werden und so immer zu orten sind. Über 4000 Menschen soll Serco bereits überwachen.
In Hüne stellt der Dienstleister 95 Mitarbeiter. Ihr Aufgabenfeld erstreckt sich von der Gebäudebewirtschaftung über medizinische und psychologische Betreuung bis hin zu Freizeitangeboten. Dadurch sollen die Betriebskosten um 15 Prozent sinken, das Land Hessen spart nach eigenen Angaben jeden Monat rund 55 000 Euro Betriebskosten ein.
Welchen Betrag Serco jährlich vom Land für seine Dienstleistungen erhält, ist nicht bekannt. Nach Firmenangaben beteiligt man sich nur an Ausschreibungen, »bei denen die vollzuglichen Rahmenbedingungen bestimmten Ansprüchen gerecht werden, z. B. das Vorhandensein eines Resozialisierungsprogramms«. In Ländern mit Todesstrafe werde Serco keinesfalls aktiv werden.

Schlechte Erfahrungen europäischer Nachbarn
Hüne ist nicht die einzige Haftanstalt, in der Kernaufgaben ausgelagert werden. Im Abschiebegefängnis der Justizvollzugsanstalt (JVA) Büren in Nordrhein-Westfalen werden seit zwölf Jahren Mitarbeiter von privaten Sicherheitsfirmen eingesetzt. Bundesweit sollen weitere teilprivatisierte Gefängnisse bis 2008 in Baden-Württemberg und 2009 in Sachsen-Anhalt folgen.
Was in Deutschland nach und nach Einzug hält, wird in den Niederlanden, der Schweiz und Frankreich bereits praktiziert. Laut Klaus Jeckel vom Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands (BSBD) ist man dort allerdings wieder zu der Überzeugung gelangt, dass Strafvollzug mit Bediensteten besser sei. Auch, weil sich »eine gewissen Ernüchterung hinsichtlich des Kostenarguments eingestellt hat«. Untersuchungen hätten ergeben, dass privat geführte Gefängnisse verglichen mit staatlichen Anstalten oftmals nicht günstiger sind. Der BSBD steht auch der Teilprivatisierung von Hüne kritisch gegenüber, weil nicht nur reine Dienstleistungen, sondern auch eine Vielzahl von Bereichen in die Privatisierung einbezogen wurden, die nach Auffassung des BSBD zum Kernbereich staatlicher Aufgaben zählen.
Kritiker und Kriminologen bezeichnen die neuen Entwicklungen im Vollzugsbereich als »bestrafungsindustriellen Komplex«. Verwiesen wird auf das abschreckende Beispiel des US-Bundesstaates Virginia: Dieser wirbt um Investoren für seine Gefängnisse mit der Aussage, die Gefangenen seien willige und erfahrene Arbeiter, die weder Betriebsrenten noch Gesundheitsversicherungen oder Urlaub beanspruchen.
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