Bayer gegen Menschenrechte?

Organisationen kritisieren mit OECD-Beschwerde schwerwiegende Verstöße in Lateinamerika

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.
Menschenrechtsorganisationen machen den Bayer-Konzern für katastrophale Folgen der industriellen Landwirtschaft wie etwa beim Soja-Anbau in Brasilien verantwortlich.
Menschenrechtsorganisationen machen den Bayer-Konzern für katastrophale Folgen der industriellen Landwirtschaft wie etwa beim Soja-Anbau in Brasilien verantwortlich.

Der Chemie- und Pharmakonzern Bayer verstößt gegen die Leitsätze der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Davon sind vier lateinamerikanische Menschenrechtsvereinigungen überzeugt. Unterstützt werden Centro de Estudios Legales y Sociales (Argentinien), Terra de Direitos (Brasilien), Base-IS (Paraguay) und Fundación Tierra (Bolivien) von dem Bischöflichen Hilfswerk Misereor und der Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG), die sich seit 1978 für Umweltschutz und sichere Arbeitsplätze in dem Leverkusener Konzern einsetzt. Die Organisationen reichten kürzlich eine OECD-Beschwerde gegen die Bayer AG ein.

»Das Unternehmen hat es versäumt, den schwerwiegenden Menschenrechts- und Umweltrisiken zu begegnen, die mit seinem Geschäftsmodell in der Region verbunden sind«, erklärt Sarah Schneider, Expertin für Landwirtschaft und globale Ernährung bei Misereor. So seien die Auswirkungen des Einsatzes von gentechnisch verändertem Saatgut und Pestiziden nicht hinreichend überwacht worden, kritisiert sie.

Laut Beschwerdeführern fördert der Konzern ein Agrarmodell, das in Südamerika zu Nahrungsunsicherheit, Wasserknappheit, extremer Abholzung, Biodiversitätsverlust, gravierenden Gesundheitsauswirkungen sowie Landkonflikten mit indigenen und bäuerlichen Gemeinschaften führe. Mehr als 50 Prozent der Agrarflächen in Brasilien, Argentinien, Bolivien und Paraguay werden laut CBG mit gentechnisch verändertem Soja-Saatgut bewirtschaftet. Die Bayer AG sei dort führend bei der Vermarktung von Pestiziden wie dem umstrittenen Glyphosat und von Soja-Saatgut, das gegen das Breitbandherbizid Glyphosat resistent ist. Die OECD-Beschwerde dokumentiert vier konkrete Fälle in Argentinien, Brasilien, Paraguay und Bolivien.

»Mit der Beschwerde zeigen wir, dass die Menschen in unserer Region aufgrund des Soja-Anbaus an Vergiftungen und schweren Krankheiten leiden«, betont auch Abel Areco, Geschäftsführer der Organisation Base-IS. Lokale Wasserquellen würden verseucht und indigene Gemeinschaften ihres Territoriums beraubt. »Das zerstört ihre Lebensweise und beeinträchtigt ihren Zugang zu Nahrungsmitteln«, erklärt er.

Bemerkenswert am Vorgehen der Organisationen ist die originelle Ebene der Auseinandersetzung. Die Bayer-Kritiker berufen sich bei ihrer Beschwerde vor der Industriestaatenorganisation OECD in Paris auf deren Leitsätze. Das damit verbundene Beschwerdeverfahren haben Nichtregierungsorganisationen als kostenlose Alternative zu Klagen vor staatlichen Gerichten entdeckt.

Die OECD-Leitsätze enthalten umfangreiche Empfehlungen für verantwortungsvolles Handeln multinationaler Unternehmen. Die Palette umfasst unter anderem Menschenrechte und Umweltaspekte, Verbraucherinteressen und Wettbewerbsrecht. Insgesamt 51 Länder, darunter die Vereinigten Staaten und nahezu alle EU-Mitglieder einschließlich Deutschland, haben die Leitsätze ratifiziert.

»Ihrer Rechtsnatur nach handelt es sich um Soft Law«, weiches Recht, schreiben Partner der international tätigen Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer in einer Analyse. Die wirtschaftsnahe Kanzlei vertritt häufig Konzerne und nationale Regierungen. Das Verfahren endet laut Kanzlei also nicht mit einem vollstreckbaren Urteil. Aber die nationale Kontaktstelle der OECD, in diesem Fall ist sie beim Bundesministerium für Wirtschaft in Berlin angesiedelt, fordert die kritisierten Unternehmen zu einer Stellungnahme auf. Eventuell kommt es dann zu einer Mediation.

Selbst wenn Konzerne nicht reagieren, gibt es von der OECD einen Abschlussbericht, der auf der Internetseite der Kontaktstelle veröffentlicht wird. Betroffenen Unternehmen, die sich verweigern oder keine guten Argumente haben, droht so ein erheblicher Imageschaden. Hierauf beruht die faktische Durchsetzungskraft der OECD-Leitsätze. Außerdem können die OECD-Abschlussberichte zur Basis gerichtlicher Klagen werden. So geschehen wegen des Dammunglücks im brasilianischen Brumadinho gegen den deutschen TÜV Süd und wegen Vergiftungsfällen in Indien gegen den Schweizer Pestizidhersteller Syngenta.

Die CBG hatte bereits die virtuelle Hauptversammlung der Aktionäre Ende April genutzt, um auf Risiken von Bayer-Arzneien, Lieferketten und die Vermarktung von EU-weit verbotenen Pestiziden in Ländern des globalen Südens hinzuweisen. »In Wort und Tat, real und virtuell wurden Vorstand und Aufsichtsrat mit Konzern-Kritik konfrontiert, um den Managern die Nebenwirkungen ihrer gnadenlosen Profitjagd aufzuzeigen«, sagt CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann. Vor der Aktionär*innen-Versammlung hatten die Organisationen die Beschwerde bei der OECD eingereicht. Die Berliner Kontaktstelle der OECD hat bis Ende Juli Zeit, um über die Zulässigkeit der Beschwerde zu entscheiden und eine Mediation in die Wege zu leiten.

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