Akademisches Proletariat

Jürgen Amendt über den Anpassungsdruck im universitären Mittelbau

  • Lesedauer: 2 Min.

Wer heute im sogenannten akademischen Mittelbau als Lehrbeauftragter oder wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigt ist, führt in jeglicher Hinsicht ein prekäres Dasein. Nicht nur, dass das Gehalt in den meisten Fällen nur gerade so zum Leben ausreicht, macht ihm zu schaffen, sondern auch die Statusabwertung. Längst haben sich im öffentlichen Bewusstsein die Unis von Stätten der Wissenschaft und Forschung zu akademischen Ausbildungsbetrieben gewandelt. Den Mitarbeitern im Mittelbau geht es wie den Lehrlingen früherer Zeiten, die vom Unternehmen ausgebeutet und von Meistern wie Gesellen gegängelt wurden. Dieses Abhängigkeitsverhältnis drückte sich in der Lebensweisheit »Lehrjahre sind keine Herrenjahre« aus.

Das System quasi-feudaler Abhängigkeiten war jedoch schon früher nicht auf die betriebliche Ausbildung beschränkt, noch ist es eine Erfindung des modernen Uni-Betriebs. Das gilt sowohl für die alte BRD als auch für die DDR. Der Anteil der Universitätsabsolventen an der Gesamtbevölkerung war in beiden Staaten stets annähernd gleich, die Universität also ein mit Privilegien behafteter Ort. Wer dort Karriere machen wollte, musste bereit sein, notfalls als »Wasserträger« des Professors zu funktionieren.

Im Unterschied zu heute konnten sich die wissenschaftlichen Mitarbeiter früher gewiss sein, dass der Lohn dafür eine gut dotierte und mit gesellschaftlicher Reputation ausgestattete Stelle war. Der akademische Mittelbau sollte sich vielleicht weniger als akademisches Prekariat denn als akademisches Proletariat verstehen. Der erste Schritt dazu wäre, wissenschaftliche Tätigkeit als Beruf zu begreifen und nicht als Berufung zu idealisieren.

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