Franz alias Alfred

Magdalena Parys und ein Geheimtunnel

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 4 Min.

Dass jemand seinen Namen ändert - von Franz Kreifeld in Alfred Zollner - , um nach der Flucht in den Westen eine neue Identität anzunehmen, das ist nur eine Kleinigkeit in diesem Roman, der fast nur aus Maskeraden besteht. Es ist eine so ausgetüftelte Story, dass man eine Weile lang meint, sowas könnte nicht erdacht sein, sowas müsste aus der Wirklichkeit stammen. Aber dann wird es immer bunter, es schwirrt einem der Kopf, während man nicht aufhören kann zu lesen und sich am Ende schon nicht mehr fragt, wie nahe die Autorin an den Realitäten ist. Heute gibt es ja »Mauer-Stasi-Krimis« beinahe schon in Serienproduktion, denn es ist wohl nicht besonders schwer, aus den Klischeevorstellungen, die durch die Öffentlichkeit schwirren, etwas zusammenzustricken. Dieser Roman der polnischen Autorin Magdalena Parys hebt sich davon ab, allein schon, weil die Zusammenhänge hier viel komplizierter sind.

Es geht, wie der Titel sagt, um einen Tunnel, der 1981 zwischen West-Berlin und der DDR-Hauptstadt gegraben wurde, um einem einzigen Menschen, besagtem Franz-Alfred, die Flucht zu ermöglichen. So viel Aufwand für einen Mann! Klaus, professioneller Fluchthelfer, erfährt es erst spät und ist ziemlich schockiert. Da muss er noch weitere Fluchtwillige zusammentrommeln und unbedingt seinem »Freund John« aus den USA das Herz ausschütten. Und jener Franz hat sich auch einem »Freund« anvertraut, seinem Geschichtslehrer im Osten, der noch einer anderen Profession nachgeht, was Franz auch weiß.

Als Klaus im Dezember 2000 ermordet wird, will einer seiner früheren Freunde wenigstens wissen, auf wessen Konto das geht: Peter. Wir wundern uns nicht, dass er zu Westberliner Zeiten für eine Bundesbehörde geheime Geldgeschäfte kontrollierte. Doch irgendwann ist er beurlaubt worden. Sein Intelligenzquotient war zu hoch. Man schenkte ihm ein Gartenhaus.

Die Handlung spult sich daran ab, wie Peter einstige Akteure von damals befragt. Aus dem, was sie ihm erzählen, ergibt sich ein Berg von Details, die sich vor den Augen des Lesers langsam zu einem Mosaik zusammenfügen. Die Autorin bewerkstelligt das auf kunstreiche Weise, einzelne Steinchen verbinden sich, aber ein Gesamtbild entsteht erst am Schluss.

Manch einem mag es unglaublich vorkommen, aber wer weiß schon zu beurteilen, wozu Geheimdienste fähig sind, wenn es um Machtspiele geht. Wobei hier politische Ziele (ganz heutig) gegenüber dem Geld zurücktreten. Persönliche Bereicherung setzt sich fort, auch nachdem die Mauer gefallen ist.

Die Mauer: Ohne sie wäre all das nicht möglich und nötig gewesen. Familien zerfielen in Ost und West. Sollten Geheimdiensten derlei Bindungen denn verborgen bleiben? Wäre es nicht eher naheliegend, damit zu spielen? Oder gerade die Finger von solchen Verwandten und Bekannten zu lassen, weil sie allzu viele Unsicherheiten mitbringen? Dass die Gestalten diesbezüglich wenig voneinander wissen, gehört indes zum Spiel der Magdalena Parys. Sie hatte den Ehrgeiz, alle im Buch Auftretenden in der Tiefe miteinander zu verknüpfen. Unglaublich fast, dass es möglich ist, aber es ist ihr gelungen. Ein Großteil der Spannung rührt daher, diese persönlichen Fäden zu entwirren, die ja auch mit diesen oder jenen Erlebnissen verbunden sind. Mit bleibenden Emotionen: Anhänglichkeit oder Abneigung, Liebe, Verletzt-heit …

Dabei führen viele ferne Spuren nach Polen, zu Kriegs- und Nachkriegsgeschehnissen dort, zu Kindheitserinnerungen, die auf diese oder jene Weise nachwirken. Hinzu kommt, dass an Franz-Alfreds Schule in Westberlin viele polnische und russische Kinder lernen. Eines Tages hat er dann eine Tamara geheiratet und seine Frau Victoria verlassen, die sowieso seinen Bruder Roman liebte. Der aber war in die Polin Magdalena vernarrt, die ihrerseits, obwohl sozialistisch eingestellt, Franz zuliebe kleine Kassiber über die Grenze schmuggelte. Schwierig? Die Autorin wollte es so. Es gibt einige Unwahrscheinlichkeiten, die man der 1971 in Gdansk Geborenen aber nicht ankreiden möchte, denn Romane über ferne Ereignisse sind ja vor allem auch Spiegel der Gegenwart. Da hat man eben durchaus den Eindruck, dass vieles undurchschaubar ist. Und was die Handlung zu Mauerzeiten betrifft, legte sich Magdalena Parys ja sogar noch Zügel an, indem sie »nur« Geheimdienstleute von DDR, USA, BRD mitmischen ließ (natürlich erstere am meisten), auch UdSSR und Polen hätten doch ihre Interessen gehabt. Aber da wäre das Figurenensemble noch größer geworden. Seien wir also zufrieden, dass wir einen spannenden Roman bekommen haben, in dem sich am Schluss alles irgendwie auflöst.

Magdalena Parys: Tunnel. Aus dem Polnischen von Paulina Schulz. Prospero Verlag. 339 S., br., 18,95 €.

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