Abschiebung mit Wenn und Aber

Menschenrechtsgericht fordert Garantien für Flüchtlinge

  • Katja Herzberg
  • Lesedauer: 2 Min.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat die Schweiz gerügt, weil sie Flüchtlinge nach Italien zurückschicken wollte, ohne vorher zu prüfen, ob dort ihre Rechte gewahrt werden.

Golajan Tarakhel gehört zu den Menschen, die Tausende Kilometer auf dem Weg in ein sicheres Land zurücklegten und nun mit der europäischen Bürokratie kämpfen. Der Afghane hat sich mit seiner pakistanischen Frau und den gemeinsamen sechs Kindern zunächst per Boot nach Italien durchgeschlagen. Von dort reisten sie weiter nach Österreich, wo sie einen Asylantrag stellten. Der wurde jedoch abgelehnt, weshalb die Familie in die Schweiz ging und erneut Asyl beantragte. Die eidgenössischen Behörden lehnten es aber ebenso ab, den Antrag zu bearbeiten. Laut der Dublin-Verordnung der EU, der sich auch die Schweiz angeschlossen hat, sei Italien dafür zuständig. Der Familie drohte die Abschiebung. Dagegen wehrte sich Tarakhel gerichtlich. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg entschied nun, dass die Schweiz zur Rückführung berechtigt sei, aber nur unter bestimmten Bedingungen.

Flüchtlingsfamilien droht in Italien eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung, so die Richter. Nach Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention darf deswegen keine Abschiebung in den Mittelmeerstaat erfolgen, wenn nicht zuvor geprüft wurde, ob den Migranten persönlich ihre Rechte etwa zur gemeinsamen Unterbringung einer Familie garantiert werden. Die Flüchtlingsfamilie erhält laut dem Urteil 7000 Euro für ihre Gerichtskosten. Ob sie in der Schweiz bleiben darf, ist allerdings fraglich.

Die Grünen im Europäischen Parlament erklärten, der EGMR verbiete mit seinem Urteil de facto Abschiebungen nach Italien, weil die Zustände insbesondere für Flüchtlingskinder in Italien untragbar seien. »Dieses Urteil zeigt, dass die Dublin-Regelung vorne und hinten nicht mehr funktioniert«, erklärte Ska Keller, migrationspolitische Sprecherin der Grünen im EU-Parlament. Nötig sei ein »echtes, gemeinsames Asylsystem in der EU«.

Auch die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl begrüßte das Urteil, es gehe aber nicht weit genug. »Wir fordern einen generellen Abschiebestopp nach Italien«, erklärte die rechtspolitische Referentin Marei Pelzer.

Die Straßburger Richter bestätigten mit dem Urteil die bisherige Rechtsprechung. Im Fall von Griechenland wurde bereits 2011 festgestellt, dass Abschiebungen dorthin unzulässig sind. Deutschland hat kurz darauf einen Abschiebstopp für das EU-Land verhängt.

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