Was Rot-Rot-Grün in der Flüchtlingspolitik plant

Dezentrale Unterbringung, Abschaffung von Gutscheinen, Krankenkassenkarte nach »Bremer Modell« und vorübergehender Abschiebestopp: ein Blick in die Thüringer Regierungsvereinbarung

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Berlin. Rot-Rot-Grün in Thüringen erwartet steigende Flüchtlingszahlen auch im Freistaat – und hat im Koalitionsvertrag eine »menschenrechtsorientierte Flüchtlings- und Integrationspolitik« vereinbart. »Angesichts der aktuellen Entwicklung in vielen Teilen der Welt müssen wir davon ausgehen, dass immer mehr Menschen bei uns Zuflucht suchen werden«, heißt es in der Regierungsvereinbarung.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion über den Umgang mit Flüchtlingen und dem anhaltenden Widerstand gegen deren Unterkünfte lohnt deshalb auch ein Blick in die asylpolitischen Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen von Linkspartei, SPD und Grünen. Daran, wie eine Gesellschaft mit Flüchtlingen und Migranten umgehe, bemesse sich ihre Humanität. »Dieser Anspruch soll sich im konkreten Verwaltungshandeln widerspiegeln«, heißt es im Koalitionsvertrag.

Die rot-rot-grüne Landesregierung wird dazu auch die Abschiebepraxis im Freistaat auf den Prüfstand stellen – und während dieser Zeit, die bis zum Ende des ersten Quartals 2015 dauern soll, »eine vorübergehende Aussetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen zur Vermeidung unbilliger Härten erlassen«. Einfach gesagt: Rot-Rot-Grün wird zunächst einen generellen Abschiebestopp in Thüringen verhängen, der nach dem Aufenthaltsgesetz »aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen« möglich ist.

Rot-Rot-Grün hat sich darüber hinaus aufgegeben, einen Flüchtlingsgipfel abzuhalten und »mit den Landkreisen und kreisfreien Städten ein langfristiges Konzept für die Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen« zu erarbeiten. Leitbild solle dabei »die dezentrale Unterbringung sein«, wobei die Kommunen, die eine dezentrale Unterbringung gewährleisten, auch finanziell unterstützt werden sollen.

Eine mögliche Landesregierung aus Linkspartei, SPD und Grünen will auch das Flüchtlingsaufnahmegesetz novellieren – mit dem Ziel, »dass künftig in allen Kommunen anstelle einer Leistungsgewährung in Form von Gutscheinen und Sachleistungen die Zahlung von Bargeld« an Asylbewerber erfolgt.

Flüchtlingen soll zudem »ein unbürokratischerer Zugang zur medizinischen Versorgung verschafft werden«. Dabei will sich Thüringen unter Rot-Rot-Grün am »Bremer Modell« orientieren – in der Hansestadt bekommen Asylbewerber seit 2005 eine Krankenkassenkarte, zuvor mussten sie sich vor jedem Arztbesuch beim Sozialamt einen Krankenschein holen. Zudem soll es aber auch einen anonymisierte Krankenscheine »für Menschen ohne Papiere« ein. Linkspartei, SPD und Grüne wollen ein entsprechendes Modellprojekt ermöglichen und dessen Auswertung »zur Grundlage für eine Entscheidung machen«.

Die Landesregierung will die Finanzierung der psychosozialen therapeutischen Behandlung traumatisierter Flüchtlinge dauerhaft sichern und insbesondere für Schutz von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen sorgen. Dabei soll auch eine neu zu schaffende Clearingstelle helfen.
Über Thüringen hinaus geplant sind Aktivitäten, die »ein humanitäres alters- und stichtagsunabhängiges Bleiberecht mit realistischen Anforderungen für langjährig Geduldete« ermöglichen würden. Rot-Rot-Grün wolle sich zudem »für die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes auf Bundesebene einsetzen«, heißt es in der Regierungsvereinbarung.

Am Donnerstagmorgen hatte die »Thüringer Allgemeine« berichtet, das Justizministerium in Thüringen werde zu einem Migrationsministerium ausgebaut. Die rot-rot-grüne Regierung wolle das Ressort um den Bereich Asyl- und Einwanderungspolitik aus dem Innenministerium erweitern. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu, es werde »angestrebt Kompetenzen für Integrations- und Migrationspolitik aus dem Innenministerium herauszulösen und neu zuzuordnen«. nd

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