Alles klar - und überaus fraglich

Problem im NSU-Prozess: Wie kam die Mordwaffe aus der Schweiz nach Jena?

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

Hans-Ulrich M. ist Schweizer Staatsbürger. In der Heimat fühlt er sich sicher. Was hatte ihm das Oberlandesgericht in München nicht alles angeboten, damit er als Zeuge im NSU-Prozess erscheint! Man konnte ihn weder mit der Übernahme aller Kosten noch mit freiem Geleit oder einem Rechtsbeistand locken. M. blieb stur.

Doch: Was die Herkunft und den Verkauf der »Ceska-83«-Pistole betrifft, die von den mutmaßlichen Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) bei mindestens neun Morden benutzt wurde, ist M. ein unverzichtbarer Zeuge. Wohl oder übel musste sich das Münchner Gericht mit einer vierstündigen Vernehmung begnügen, die im Juni bei der Staatsanwaltschaft im schweizerischen Thun stattgefunden hat. Die Protokollverlesung am Dienstag war nicht gerade ein Beitrag zur Prozessbeschleunigung.

M., der »Alleshändler«, besorgte - nachdem er einige Jahre im thüringischen Apolda gelebt hatte - 1996 in der Schweiz die »Ceska«-Pistole samt Schalldämpfer. Heißt es beim BKA. Und auch das Wie deutet auf kriminelle Absichten hin. Über seinen Thüringer Freund Enrico T., der wiederum ein Freund des mutmaßlichen NSU-Mörders Uwe Böhnhardt war, soll die Waffe nach Jena gelangt sein. Dort hat sie der wegen Beihilfe zu neunfachem Mord angeklagte Carsten Schultze - angehalten vom wegen Beihilfe zu neunfachem Mord angeklagten Ralf Wohlleben - über rechtsradikale Szenetypen entgegengenommen. Anschließend brachte Schultze die Waffe nach Chemnitz. Dort übergab er sie an Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Beate Zschäpe sei im Frühjahr 2000 dabei gewesen.

Soweit die Anklage und Schultze. Das Problem: T. und andere Beteiligte dementieren das Dargestellte. Auch Hans-Ulrich M. will nichts mit der »Ceska« zu tun gehabt haben. Er gab zu, ein »Waffennarr« zu sein und auch sonst sind seine Geschäfte - wie Zeugen aus Apolda bestätigten - nicht ganz sauber. Aber das ändert nichts am Problem der Anklage. Möglicherweise hat die den Weg der Waffe aus der Schweiz nach Deutschland richtig beschrieben. Doch die Beweise sind wacklig.

Der Angeklagte Schultze hatte am Dienstag seit Monaten erstmals wieder Fragen zu beantworten. Die bezogen sich auf Aussagen des Neonazis und Verfassungsschutzspitzels Tino Brandt. Schultze bestritt, jemals Thüringer Landesvorsitzender der »Jungen Nationalen« (JN) gewesen zu sein. Er korrigierte den Zeitraum, zu dem er für die Angeklagte Zschäpe 1998 Sachen aus ihrer Wohnung geholt hat, und konnte sich nicht erinnern, dem Trio Geld überwiesen zu haben.

Am Nachmittag war eine Vernehmung der pikanteren Art geplant. Als Zeuge aufgerufen wurde einer von denen, die üblicherweise als Ankläger im Verhandlungssaal sitzen. Bundesanwalt Jochen Weingarten sollte berichten, wie er Enrico T., den mutmaßlichen Mitbeschaffer der »Ceska«, vernommen hat. Grund: Ein Polizeiermittler hatte unlängst ausgesagt, dass der Oberstaatsanwalt dabei etwas laut geworden sei. Verständlich? Sicher, angesichts der Lügereien. Doch einige Verteidiger fühlten sich dadurch offenbar herausgefordert, das sensible Wesen von beteiligten Neonazis in Schutz zu nehmen.

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