Das neue Alibi

Bundesregierung beschwört mit der Frauenquote für rund 100 Aufsichtsräte einen Kulturwandel, erreicht aber nicht mehr als Symbolik

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Frauenquote für Aufsichtsräte einiger Unternehmen soll kommen - der große Wurf ist sie nicht. Dazu gibt es in Sachen Gleichberechtigung noch zu viele Baustellen.

Für die Aufsichtsgremium von gut 100 börsennotierten und mitbestimmungspflichtigen Unternehmen soll ab 2016 eine 30-Prozent-Quote für Frauen gelten. Das entsprechende Gesetz will die Bundesregierung am Donnerstag verabschieden. Sollten die Firmen die Posten nicht ausreichend mit Frauen besetzen können, bleiben die Stühle leer. Für den Öffentlichen Dienst setzt die Bundesregierung dagegen wohl nicht mal auf eine minimale Gesetzesregelung, sondern verlässt sich auf Selbstverpflichtungen. »Die Bundesverwaltung wird künftig insbesondere verpflichtet, sich für jede Führungsebene konkrete Zielvorgaben zur Erhöhung des Frauen- beziehungsweise Männeranteils zu setzen«, heißt es nach Informationen der »Passauer Neuen Presse« in einer Kabinettsvorlage von Familienministerin Manuela Schwesig und Justizminister Heiko Maas (beide SPD).

Ein Kulturwandel in der Arbeitswelt ist mit dem Gesetz nicht gelungen, auch wenn Schwesig ihn so einordnet. Zum einen kommt die gesetzliche Vorgabe sehr spät. Zwei Jahrzehnte hinke Deutschland den anderen großen Wirtschaftsnationen in Sachen Arbeitskultur hinterher, wozu auch Frauen in Führungspositionen gehören, so Thomas Sattelberger kürzlich. Der ehemalige Telekom-Personalchef gilt als Vorkämpfer für die Frauenquote und beklagte das »jahrelange Gezerre«, wodurch das Thema schwer beschädigt worden sei.

Fraglich bleibt, ob betroffene Konzerne ihre bisherige Unternehmenspolitik verändern können. Aus vielen Vorständen waren in letzter Zeit viele gerade erst eingestellte Frauen wieder ausgestiegen. Sie galten als Hoffnungsträgerinnen, waren aber nur symbolisch platziert, zudem oft im als »weich« eingestuften Personalbereich. Brigitte Ederer etwa kam 2010 in den Siemens-Vorstand und musste schon 2013 wieder gehen. Marion Schick blieb als Telekom-Personalvorstand nur knapp zwei Jahre bis Frühjahr 2014. Die langjährige HP-Managerin Regine Stachelhaus kam als erste Frau - ebenfalls für den Personalbereich - 2010 in den E.on-Vorstand, aus dem sie 2013 ausschied.

Als Ursache für diese Kurzauftritte sehen Personalexperten unter anderem die Tatsache, dass die Managerinnen in der Regel von außen geholt wurden und nicht über Netzwerke in den jeweiligen Firmen verfügten. Demnach wird es nicht ausreichen, punktuell einzelne Frauen auf oberste Posten zu setzen, um einem Anspruch auf Gleichberechtigung zu genügen.

Für rund 3500 mittelständische Unternehmen, die entweder mitbestimmungspflichtig oder börsennotiert sind, gilt auch nach der Quoteneinführung das Prinzip der freiwilligen Selbstverpflichtung. Mit einem Unterschied: Sie müssen einmal pro Jahr ihr Quotenziel veröffentlichen. Die Wirtschaft hat sich in diesem Punkt erneut durchgesetzt.

Eines der Hauptargumente der Quotengegner ist der angebliche Mangel an qualifizierten Frauen. Der hohe Anteil junger Frauen in den Abiturjahrgängen und unter Studenten wirft nicht erst heute die Frage auf, an welchem Punkt ihres Berufslebens denn diese Menschen verloren gehen. Frauen mit naturwissenschaftlichem Hintergrund, die in der Industrie arbeiteten, wechselten etwa wegen der bestehenden »Macho-Kultur und verstopften Karrierewegen« in die Beratungsbranche, so Sattelberger.

Verschiedene Untersuchungen und Politikansätze locken nun die Unternehmen damit zur Quote, dass gemischte Führungsteams erfolgreicher arbeiten würden. Managementtheorien zielen schon lange darauf, das gesamte menschliche Potenzial einer Firma für den wirtschaftlichen Erfolg zu verwerten - also auch das der Frauen, der Migranten und Behinderten. Was diese Gruppen selbst wünschen, wird aber eher als notwendige Förderung Schwacher halbherzig in der Sozialpolitik bearbeitet. Da ist etwa die jährliche Alibiveranstaltung Girls’ Day. Die ehemalige Piraten-Politikerin Anke Domscheit-Berg wies kürzlich in der »Emma« darauf hin, dass es in der DDR praktisch alle 14 Tage einen Girls’ Day gegeben habe, denn im Unterrichtsfach »Praktische Arbeit« arbeiteten Jungs wie Mädchen alle zwei Wochen in einem Betrieb. Arbeit in der Industrie war so zumindest eine Option. Entsprechende Unternehmen sind heute nicht nur im Osten deutlich weniger vorhanden. Auch Rollenvorbilder, etwa die einer Ingenieurin oder Elektrikerin, spielen in Medien, Kinderbüchern oder beim Spielzeug so gut wie keine Rolle.

Entsprechend sieht das Berufswahlspektrum von Mädchen heute aus: Unter den Top 10 der Ausbildungsberufe steht vornan die Kauffrau im Einzelhandel, es folgen Verkäuferin, Bürokauffrau, nach den Fachangestellten von Ärzten und Zahnärzten und der Industriekauffrau dann auch die Friseurin. Hinter diesen Optionen stecken sehr tradierte Vorstellungen davon, wer auf der Arbeit und zu Hause was zu tun hat. Die beliebtesten Berufe für Frauen sind schlecht bezahlt und häufig frei von jeder Aufstiegsperspektive. Damit stellen sich schon junge Mädchen vorauseilend auf eine Partnerschaft mit ungleicher Einkommensverteilung ein. Soll es Nachwuchs geben, ist auch klar, wer die Arbeit in diesem Zusammenhang leistet, weil der geringe Lohn eher kompensiert werden kann.

Junge Männer, die einige Vätermonate absolvieren, erfahren in diesem Zusammenhang die gleiche Zurücksetzung, die Frauen seit Jahrzehnten kennen, wenn es um Kinder geht. Es wird nicht nur von Leistungsverweigerung gesprochen und die Nase gerümpft, wenn nicht jede Sitzung ausgesessen werden kann. Die Männer lernen auch die ermüdenden Routinen von Hausarbeit und Kinderbetreuung kennen - viele sind froh, wenn sie zurück in den Job können. Baustellen für die Gleichstellungspolitik gibt es also ohne Ende, und nicht nur in der Wirtschaft. Für die lange umkämpfte und doch nur symbolische Aufsichtsratsquote in einem Bruchteil der 3,6 Millionen Unternehmen des Landes ist demnach jedes Lob überflüssig.

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