Bischof: Ohne Flüchtlinge wären wir ärmer

Schäuble: Hinter Pegida stehen soziale Ängste / Aufrufe zur Solidarität mit Flüchtlingen / Linkenpolitikerin Jelpke: Pegida spricht nicht im Namen der Mehrheit / Gauck ermutigt, dass »die Allermeisten« die Bundesrepublik »nicht abschotten wollen«

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Update 18 Uhr: Der Bischof von Dresden-Meißen, Heiner Koch, hat Migranten und Flüchtlinge, die Zuflucht in Deutschland suchen, als »Helfer beim Aufbau unserer gemeinsamen Heimat« bezeichnet. »Ohne sie wären wir ärmer, würden wir heimatloser«, betonte Koch in seiner Weihnachtspredigt an Heilig Abend. Die Sehnsucht nach Heimat präge sowohl die Flüchtlinge als auch die »Pegida«-Demonstranten, die seit Wochen gegen eine vermeintliche Islamisierung protestieren. Heimat sei aber nicht ortsgebunden, sondern entstehe dort, wo Menschen aufeinander zugingen. »Ich bin sicher, auch bei uns in Sachsen wird die Heimat wachsen, wenn wir sie einander schenken, und sie wird zerfallen, wenn wir die Türen schließen.«

Update 12 Uhr: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sieht die antiislamischen Pegida-Demonstrationen auch als Folge von Fehlern der Politik. »Ich sehe, dass viele Menschen das Gefühl haben, dass sie sich in der institutionell verfassten Politik nicht wiederfinden. Das muss man ernst nehmen«, sagte der CDU-Politiker der »Rheinischen Post«. Schäuble sieht hinter der Pegida-Warnung vor einer Überfremdung vor allem soziale Ängste: »Die Menschen sorgen sich, dass die Unterschiede zwischen Arm und Reich größer werden«, sagte er. »Eine moderne, freiheitliche Gesellschaft hängt davon ab, dass die Menschen das Gefühl haben, es geht in ihr fair zu. Wenn diese Grundvoraussetzung für sozialen Zusammenhalt verloren geht, wird das Gesamtsystem geschwächt.« Deutschland sei dringend auf Zuwanderung angewiesen und habe bei der Integration von Ausländern erhebliche Fortschritte gemacht. »Die Politik muss zuhören und argumentieren«, sagte Schäuble. »Diejenigen aber, die als Partei wie die Alternative für Deutschland oder als Organisatoren von Pegida bewusst fremdenfeindliche Ressentiments schüren, die muss man wirklich bekämpfen.«

Update 9.30 Uhr: Die Linkenpolitikerin Ulla Jelpke hat die Demonstrationen gegen die rechte Pegida-Bewegung gelobt. »Dass zugleich in Dresden, München und weiteren Städten Tausende Menschen gegen Fremdenfeindlichkeit und für ein friedliches Zusammenleben auf die Straße gingen, ist ein richtiger Schritt. Dies macht deutlich, dass Pegida nicht in unserem Namen spricht«, sagte die Bundestagsabgeordnete. »Leider handelt es sich bei Pegida nicht um harmlose Irre. Denn auch aus absurden Wahnvorstellungen kann ein gefährlicher Flächenbrand entstehen. Daher muss Pegida contra gegeben werden.« Jelpke sagte weiter, »auf jeden der gerade einmal 4.000 in ganz Sachsen lebenden Muslime kommen inzwischen mehr als vier Islamhasser, die mit Pegida in Dresden auf die Straße gehen. Merken die Pegida-Anhänger eigentlich nicht, dass sie sich mit ihrem Wahn vor einer angeblich drohenden Islamisierung zum Gespött von ganz Deutschland machen?«

Update 8 Uhr: Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat angesichts der in Zukunft erwarteten Flüchtlinge noch »viel, viel mehr Solidarität« mit Asylsuchenden gefordert. »Es werden in Zukunft noch mehr Menschen fliehen. Experten sprechen allein von 200 Millionen Klimaflüchtlingen«, sagte er der »Leipziger Volkszeitung«. 2015 sollten deshalb mit einem globalen Zukunftsvertrag »entscheidende Weichen« gestellt werden. Unter Verweis auf das rechte Pegida-Netzwerk sagte Müller, er wünsche sich, »dass wir mit der gleichen Intensität, wie wir diese Debatte führen, darüber diskutieren, wie wir den Flüchtlingen und Opfern von Gewalt und Terror in den Herkunftsländern Perspektiven geben«. Notwendig sei dabei aber »nicht nur eine humanitäre, sondern auch eine diplomatische Großoffensive«. Europa solle dabei »nicht Zäune und Schutzwälle höher ziehen, sondern Fluchtursachen bekämpfen«.

Gauck ermutigt, dass »die Allermeisten« die Bundesrepublik »nicht abschotten wollen«

Berlin. Die Debatte über die Aufmärsche des rechten Pegida-Netzwerkes hat auch die Weihnachtsreden in Politik und Kirche bestimmt. Bundespräsident Joachim Gauck sagte, dass es mittlerweile viel Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen gebe. Ohne Proteste wie die islamfeindlichen »Pegida«-Demonstrationen in Dresden zu nennen, betonte er: »Dass die Allermeisten von uns nicht denen folgen, die Deutschland abschotten wollen, das ist für mich eine wahrhaft ermutigende Erfahrung dieses Jahres.«

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Zudem rief er angesichts weltweiter Flüchtlingskrisen zu Hilfsbereitschaft und entschiedenem Eintreten für eine für Notleidende Menschen offene Gesellschaft auf. »Wir alle können einen Beitrag leisten, damit der Wärmestrom lebendig bleibt, ohne den die Welt kalt und friedlos wäre: Indem wir uns engagieren, wenn unsere Mitmenschen Hilfe brauchen. Indem wir Bedrohten Frieden und Verfolgten Schutz bieten.« Er wies darauf hin, dass viele Menschen von der Entwicklung der Welt mit Kriegen, Bürgerkriegen und Terror beunruhigt und besorgt seien. Er fügte jedoch hinzu: »Ängste ernst zu nehmen, heißt nicht, ihnen zu folgen. Mit angstgeweiteten Augen werden wir Lösungswege nur schwer erkennen, wir werden eher klein und mutlos.«

Gauck erinnerte auch daran, dass die friedliche Revolution in der DDR vor 25 Jahren gezeigt habe, dass sich Verhältnisse zum Besseren wenden ließen. »Im Herbst 1989 sind die Menschen mit Kerzen in der Hand auch in Dresden für Freiheit und Demokratie auf die Straße gegangen«, sagte auch Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) am Dienstag bei der Weihnachtlichen Vesper vor der Dresdner Frauenkirche und erinnerte an Hilfe und Solidarität beim Neuanfang nach dem Mauerfall: »Heute ist es an uns, Solidarität zu üben. Teilen wir unsere Freiheit und unseren Wohlstand mit denen, die Unfreiheit und Krieg entfliehen. Denn am Ende werden wir davon alle bereichert – die Neuankömmlinge wie auch wir.«

Tillich räumte ein, dass es Verunsicherung und Ängste in der Bevölkerung gibt: »Niemandem ist geholfen, sie pauschal als ausländerfeindlich oder rechtsextrem abzutun. Womit uns allen, auch den Flüchtlingen geholfen ist, das ist, diese Ängste ernst zu nehmen und zu fragen: Wie schaffen wir es gemeinsam, dass aus dieser Situation für uns und die Neuankömmlinge etwas Gutes wird?«. Es sei immer etwas Gutes daraus entstanden, wenn Flüchtlinge in Sachsen mit offenen Armen empfangen wurden, sagte Tillich.

Sachsens evangelischer Bischof Jochen Bohl widersprach Argumenten von Pegida und rief zugleich zum Dialog mit Anhängern dieser Bewegung auf. »Worüber aber nicht gestritten werden kann, ist die Verpflichtung des Staates zu Humanität; sie ist sein tragender Grund. Und dazu gehört die Aufnahme von Flüchtlingen«, sagte Bohl bei der Vesper unter freiem Himmel. In Sachsen könne nicht im Entferntesten die Rede davon sein, die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft sei überfordert: »Wer anderes sagt, wie bei Pegida zu hören, schürt Ängste, für die es keinen realen Grund gibt.« Aus Angst aber erwachse nichts Gutes, dafür brauche es Respekt vor anderen Religionen und Kulturen.

Ähnlich äußerten sich die großen christlichen Kirchen. »Ohne Anerkennung des Anderen und Respekt vor jedem Menschen gibt es kein friedliches Zusammenleben«, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, in seiner vorab veröffentlichten Predigt. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, erklärte: »Das christliche Europa hat heute die Aufgabe, seinen Umgang mit Flüchtlingen so neu zu ordnen, dass kein Mensch mehr im Mittelmeer ertrinken muss.« dpa/nd

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