Die Partitur als Drehbuch

Walter Felsensteins Opernfilme sind jetzt wieder im Kino Babylon zu sehen

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 3 Min.

Der große Opernregisseur Walter Felsenstein stammt aus Wien; an die Spree verschlug es ihn erst während des Zweiten Weltkriegs. 1945 brachte er am Schiller-Theater eine Offenbach-Operette auf die Bühne, die den sowjetischen Kulturoffizier Alexander Dymschitz so begeisterte, dass er Felsenstein die Leitung des dritten Opernhauses der Viersektorenstadt anvertraute. Dort sollte, in der Tradition der französischen Opéra-comique, das heitere Genre eine Heimstatt finden.

Mit der »Fledermaus« von Johann Strauß wurde die Komische Oper zu Weihnachten 1947 eröffnet. In den Folgejahren verwirklichte der Regisseur hier seine einflussreiche Vision eines Musiktheaters, bei dem Musik und Szene derselbe Stellenwert zukommt. Das bedeutete einen radikalen Bruch mit der traditionellen Opernpraxis die bis weit ins 20. Jahrhundert hinein Regie als Nebensache betrachtete. Die Sänger standen meist bewegungslos an der Rampe; dem Publikum ging es in erster Linie um den Genuss schöner Stimmen und bekannter Melodien.

Felsenstein hingegen wollte glaubwürdige Geschichten auf die Bühne bringen und das Anliegen der Komponisten nachvollziehbar machen. Aus diesem Grund ließ er stets auf Deutsch singen, und zwar nach neu übersetzten, »entrümpelten« Textvorlagen. Seine Herangehensweise war von einer geradezu manischen Präzision gekennzeichnet. Der Regisseur probte nicht nur monatelang für eine Premiere, sondern verfasste auch nach jeder einzelnen Abendvorstellung einen kritischen Bericht. Ebenso perfektionistisch ging Felsenstein daran, einige seiner Bühnenkonzeptionen für den Film zu adaptieren. Auf Leinwand wollte den Idealfall seiner Inszenierungen verewigen - unabhängig von der Tagesform der Sänger oder störenden Zuschauergeräuschen. Dass ein Film nicht das kollektive Theatererlebnis ersetzen kann, war ihm klar. Deshalb verlegte er nicht lediglich das Bühnengeschehen ins Filmstudio, sondern suchte nach einer eigenen musikalisch-szenischen Sprache für das neue Medium.

Das filmische Lebenswerk Felsensteins erschien, in Bild und Ton aufwändig restauriert, 2008 auf DVD. Fünf Filme aus dieser »Walter Felsenstein Edition« des Labels Arthaus laufen ab 28. Dezember im Kino Babylon. Ergänzt wird die Reihe durch zwei Dokumentationen über den Regisseur, die aus den Jahren 1971 und 1995 stammen.

In seiner fast drei Jahrzehnte währenden Intendanz brachte Felsenstein 30 Werke auf die Bühne der Komischen Oper. Besonders erfolgreich liefen die Offenbach-Operetten »Hoffmanns Erzählungen« und »Ritter Blaubart«, deren Filmadaptionen in den frühen 1970ern entstanden. Im »Blaubart« kitzelte Felsenstein die Ironie der Geschichte um den frauenmordenden Ritter hervor. Bei »Hoffmanns Erzählungen« wiederum nutzte er die Möglichkeiten des Mediums Film, um die Durchdringung von Traum und Wirklichkeit in den Amouren des Dichters Hoffmann zur Geltung zu bringen.

Auch die märchenhafte Fabel von Leoš Janáceks »Schlauem Füchslein« setzte Felsenstein 1965 kongenial filmisch um; mit großer Fantasie und Liebe zum Detail gestaltete er die Tier- und Pflanzenwelt des Waldes. Beim 1969 entstandenen »Othello«-Film lässt sich der neuartige Umgang mit dem Chor bewundern. Schon in seinen ersten Inszenierungen hatte der Regisseur den statischen Opernchor abgeschafft und stattdessen individuelle Abläufe für jeden Sänger entworfen.

Felsensteins Opernfilme wurden vom Deutschen Fernsehfunk produziert und entstanden in den DEFA-Studios Babelsberg. Mit einer Ausnahme: Sein frühester Film, »Fidelio«, wurde 1956 in Wien gedreht. Hier arbeitete der Regisseur nicht mit Sängern, sondern mit zur Tonspur agierenden Schauspielern. Die Filmrollen erlitten im Laufe der Jahrzehnte vielerlei Abnutzungen und Schädigungen durch Wasserflecke, Verschmutzungen und Risse. Die Aufbereitung unter Leitung von Christoph Felsenstein, Sohn des Regisseurs, nahm daher - inklusive der Klärung langwieriger Rechtsfragen - ein volles Jahrzehnt in Anspruch.

Dank der mustergültigen Digitalisierung und Veröffentlichung auf DVD steht nun dem ungetrübten Felsenstein-Erlebnis vor dem heimischen Bildschirm nichts im Wege. Dabei lag die eigentliche Absicht des Regisseurs darin, ein großes Publikum vor der Leinwand zu versammeln. Eine derartige Begegnung mit seinen Schöpfungen ermöglicht nun das Kino Babylon an den Wochenendnachmittagen bis zum 1. Februar.

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