Gute Zeit für Kaltduscher

»Seehunde« eröffnen Badesaison in Hohenschönhausen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Dieses Jahr gab es keine Eisdecke zu durchbrechen. Der Orankesee zeigte sich erfrischend plätschernd - die Eisbader entzückt.

»Eis frei! Eis frei! Eis frei!« schallt es durch das Freibad am Hohenschönhausener Orankesee an diesem Neujahrsvormittag um 11 Uhr. Zu einer Zeit, zu der viele Berliner bestenfalls darüber nachdenken, was nach dem Rollmops an diesem Tag noch so kommen mag, sind einige Dutzend »Berliner Seehunde« putzmunter damit beschäftigt, Neujahrswünsche auszusprechen.

Doch eigentlich sind sie hier um zu baden. Seit bald zwei Jahrzehnten treffen sich die Herren und Damen zu diesem Termin, um gemeinsam das neue Jahr mit einem äußerst erfrischenden Bad zu beginnen. Vier Grad über Null Lufttemperatur zeigt das Thermometer an, dazu noch etwas Wind, das Wasser des Orankesees dürfte etwa gleichkalt sein. »So eine richtige Eisschicht wäre schon schön gewesen«, sagt Bernd Kühler von den Seehunden, die eine Sektion der SG Bergmann Borsig sind. »Auf einem Teil des Sees ist eine hauchdünne Eisschicht, die ist messerscharf wenn man an die rankommt«, erläutert er fachmännisch.

Auch ein neuer Interessent ist heute dazugestoßen. »Hallo, ich heiße Hans«, macht er sich bei den alten Hasen bekannt. Nachnamen sind in der rund 80 Mitglieder zählenden, verschworenen Gemeinschaft der Winterbader nicht so wichtig. »Du bist Kaltduscher, oder?«, fragt einer den Neuling, der fröhlich bejaht. In Kühlungsborn an der Ostsee hat Hans im vergangenen Jahr diese winterliche Freude kennengelernt. »Das macht süchtig«, sagt er und erntet allgemeine Zustimmung.

»Die Abhärtung und die Glückshormone, das ist richtig toll«, sagt Bernd Kühler. »Wegen des Winterschwimmens ist noch niemand von uns krank geworden«, unterstreicht er. Eine Weile hätten verschiedene Fachleute der Charité die Vereinsmitglieder untersucht, und sie hätten auch nur positive Effekte festgestellt, berichtet Kühler.

Seit über 30 Jahren gibt es den Kreis der Kaltbader, dem heute Menschen von 12 bis 79 Jahren angehören. Von Mitte September bis Ende April steigen sie jeden Sonntag um zehn Uhr in die kalten Fluten des Orankesees. »Unser Sport hat keinen Wettbewerbscharakter«, heißt es auf der Vereinshomepage. Es gehe nicht darum, wer das längste Durchhaltevermögen habe. Jeder bleibe so lange im Wasser wie er möchte.

Lang genug geredet, nun gehen die zum Teil sehr fantasievoll verkleideten Seehunde in den See. Kein Kreischen und kein Gebibber ist zu vernehmen - Bauchplatscher macht allerdings auch niemand. Vom anderen Seeufer aus beobachten dick eingepackte Passanten das skurrile Treiben. Der eisige Wind hat es in sich. Immerhin einige Minuten bleiben die meisten Kaltbader auch drin. »Der schönste Moment ist, wenn man wieder rauskommt«, verrät Christel allerdings. Manche gehen nach einer kleinen Pause am Ufer noch ein zweites Mal hinein. Das ist für andere der Höhepunkt.

»Hervorgegangen ist das aus den Schwimmveranstaltungen der Trommel-Pioniere«, sagt Kühler über die Entstehung der Winterschwimmergruppen, die es nicht nur in Berlin gibt. Am Samstag, den 10. Januar, treffen sich Sportler aus Deutschland und dem Ausland zum 30. Jubiläum des »Winterschwimmens in Berlin« am Orankesee. »Das ist unser Eisfasching. Die Leute sind kostümiert, laufen, rennen oder tanzen ins Wasser«, berichtet Kühler voller Vorfreude. Über 100 Teilnehmer werden erwartet, es gibt Musik, Speisen und Getränke. Im Gegensatz zu den sonstigen Treffen ist das eine öffentliche Veranstaltung, bei der Zuschauer herzlich willkommen sind. »Minusgrade, Eis und Sonnenschein« wünscht sich Kühler. Sein Name scheint Berufung zu sein. (www.berliner-seehunde-oranksee.de)

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