Bernd Rump, 
Dichter und Liedermacher

Der Dresdner Künstler wurde zum Kulturpolitiker. Bis 2010 arbeitete er für 
die Linkspartei. Seitdem ist er »ein freier Mensch«

Das kann nicht alles sein, daß wir

die Macht und zu essen haben,

die Steine, die wir aufgetürmt,

die Erde, die wir umgegraben.

Wie unterschiedlich kann man einen Vers lesen? Diese Zeilen zum Beispiel, geschrieben in den 70ern von einem jungen Mann aus Dresden. Man wird den Vers aus dem Gedicht »Kann das schon alles sein« damals als vorwärtsweisende Kritik verstanden haben, als Hinweis auf noch uneingelöste Hoffnungen und Versprechen beim Aufbau des Sozialismus.

Im Herbst 1989 hätte man Bernd Rumps Zeilen als Aufforderung begreifen können, es endlich besser zu machen. Ein halbes Jahr später als bittere Bilanz eines Staatsversagens. Jetzt, zweieinhalb Jahrzehnte und einen Epochenbruch weiter, erscheint der Vers wieder in einem anderen Licht. Längst kennt man das tatsächliche Ausmaß der Defizite, der verpassten Möglichkeiten, der Verluste.

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Für Bernd Rump dürfte es ein künstlerischer Ritterschlag gewesen sein, als ihm 1979 das Heft Nr. 141 der renommierten Lyrikreihe »Poesiealbum« gewidmet wurde. Rump, damals 32, gehörte zu einer Generation junger Künstler, die ihr Heimatland DDR nicht hochjubeln, sondern besser machen wollten. Die sich nicht als Kulturkader, wohl aber als politische Künstler verstanden. »Wir wollten den Sozialismus nicht in Frage stellen«, sagt er, befragt nach jenem Vers. Und fügt einen Satz hinzu, der erst viel später zur Erkenntnis wurde: »Aber es wäre nötig gewesen, die führende Rolle der SED in Frage zu stellen.«

Einen solchen Satz zu denken erschüttert ein ganzes politisches Weltbild. Bernd Rump hatte schon mit knapp 18 um Aufnahme in die SED gebeten. Das war Mitte der 60er Jahre, die wissenschaftlich-technische Revolution war ein großes Thema. Mit aller Macht wollte die DDR den Rückstand zum Westen aufholen. »Ich habe immer geglaubt, dass im Kampf der Systeme die Wirtschaft entscheidet«, sagt Rump. Er wollte mitentscheiden, studierte Energetik, arbeitete im Kraftwerk Hirschfelde.

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Rumps künstlerische Anfänge fallen in jene Zeit Mitte der 60er, als Lyrik große Säle füllte, vor allem Hörsäle. Rump war eine Art schreibender Arbeiter. Beides sollte sein Leben bestimmen. »Ich habe die einfachen Menschen immer geschätzt«, sagt er, und das galt erst recht, seit er im Kraftwerk erlebte, »wie die Leute in drei Schichten arbeiten, wie sie mit ihrem Dasein kämpfen«.

Vielleicht lag es nicht zuletzt daran, dass Bernd Rump vom Zusammenbruch des SED-Systems nicht allzu überrascht war. Es hat ihn nicht gefreut, denn da brach ja etwas weg, wofür er sich eingesetzt hatte. Aber die Liedermacher der DDR, zu denen er gehörte und mit denen er arbeitete und diskutierte, »die haben schon Jahre vorher gemerkt, dass irgendwas nicht stimmte in diesem Land«.

Rump und seine künstlerischen Gefährten von der Dresdner Liederbühne »Schicht« gehörten zu den Namhaften in der politischen Liederszene der DDR, und sie hatten zugleich erfahren, wie schnell man an die Grenzen des Erlaubten stoßen konnte. »Anfang der 80er Jahre war ich innerlich weiter weg von der Partei als nach 1985«, sagt er. Dann kam Gorbatschow, dann kam »eine neue Illusion und hat die Sache verlängert. Wir klammerten uns an die kommunistische Utopie.«

Ende der 80er Jahre stritt das Ensemble immer öfter über die Frage, ob und wie man in der DDR noch Alternativen entwickeln kann. Man verkrachte sich; im Grunde passierte »Schicht« dasselbe wie der gesamten DDR: »Wir haben es intellektuell nicht geschafft, rechtzeitig einen Strich zu ziehen und uns die Bilanz anzusehen. Wir wussten nur, so kann es nicht weitergehen. Wir hatten aber keine Ahnung, wie stattdessen. Wir wussten nicht, wohin wir uns verabschieden sollten«, sagt Rump.

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Knapp 20 Jahre zuvor war Bernd Rump mit Haut und Haar in die Kultur gegangen. Anfang der 70er gab es einen Machtwechsel in der DDR. Honecker löste Ulbricht ab und setzte auf eine neue Strategie: weniger Investitionen in die wirtschaftlichen Grundlagen, mehr Sozialleistungen. Rump sah darin eine Abkehr von der Ökonomie, von den Versuchen, den technologischen Rückstand zum Westen aufzuholen.

Er resignierte. Nein, er sattelte um. Verließ das Kraftwerk und wurde Kulturarbeiter in Dresden, studierte am Leipziger Literaturinstitut. Gründete eine Songgruppe, 1975 das Liedtheater »Schicht«. Kein Zufall, dass der Name der Arbeitswelt entlehnt war. »Schicht« erhielt eine eigene Bühne; sie tourten durch Jugendklubs und Kulturhäuser der DDR, fuhren zum Festival des politischen Liedes nach Berlin, wurden ins Ausland eingeladen.

Sie waren keine Andersdenkenden, das nicht, aber sie waren Denkende, und das konnte ausreichen, um in Konflikt zu geraten mit den Ideologiewächtern. 1984 wollte die Staatssicherheit das Liedtheater schließen lassen. Man müsse diese Künstler erziehen, hieß es. Es ging um eine Szene, in der Schicksale von Stalinismus-Opfern erzählt wurden. Immerhin konnte nach Intervention von SED-Bezirkschef Hans Modrow das Liedtheater weiter in Dresden spielen. »Man durfte«, sagt Rump, »nicht alle wichtigen Funktionäre gleichzeitig gegen sich aufbringen.« Tourneen hatten sich allerdings erledigt, in den Medien kamen sie nicht mehr vor.

»Schicht« spielte in den letzten Jahren der DDR in einer verrückten Nische, wie Rump sagt, beschäftigte sich mit Themen im Umfeld der Perestroika. Aber auch in der Nische wurde es ungemütlich. Der Konflikt im Ensemble eskalierte im Frühjahr 1989. In Peking wurde der Studentenprotest niedergeschlagen, immer mehr DDR-Bürger wollten weg aus dem Land. Kollegen sprangen ab, neue kamen dazu. Irgendwann in diesen wilden Wochen hat Rump dann selbst »Schicht« verlassen.

In der Partei blieb er. »Ich war noch nicht bereit, mich von der SED zu verabschieden«, sagt Rump über die späten 80er. »Vielleicht war ich auch zu feige.« Er gab sein Parteibuch nicht zurück, erst recht nicht im Herbst ’89 und Frühjahr ’90, als Tausende das taten. Jetzt gerade nicht. Das war dann keine Frage der Feigheit mehr.

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Im Spätherbst 1989 lud Christine Ostrowski, die Parteisekretärin des Staatsschauspiels, Dresdner SED-Funktionäre zum Gespräch darüber ein, wie es weitergehen sollte mit der Partei und dem Land. Dabei entstand die Idee, sich um ein Delegiertenmandat für den Sonderparteitag im Dezember zu bewerben. Rump wurde gewählt, und dort, in einer Berliner Sporthalle, schlug ihn jemand für die neue Parteiführung vor, die nun nicht mehr Zentralkomitee, sondern Vorstand heißen sollte.

Seitdem war Rump Parteiarbeiter. Bis eben noch Künstler, nun plötzlich Kulturpolitiker. In dieser Zeit entstanden Initiativen wie das Kulturforum der PDS und das Anti-Eiszeit-Komitee; Rump arbeitete in der Programmkommission mit und in der Redaktionskommission des Parteitags. Kommissionen, Ausschüsse, Leitungsgremien - alles in der PDS musste von Grund auf neu organisiert werden. Die bröckelnde Basis im Osten musste beisammengehalten, die extrem dünne Basis im Westen musste aufgebaut werden. »Wir mussten damals so viele Schritte in so kurzer Zeit gehen«, sagt Rump, »und sind der Entwicklung doch immer nur hinterher gelaufen.«

Eine Zeit mit unerhört viel Arbeit und extremen Gefühlsaufwallungen, von der Anerkennung für das Durchhalten bis hin zu Morddrohungen. Ein Jahr hetzte Rump von Termin zu Termin. Er bemerkte das erst, als seine Ehe kaputt war. Dann zählte er in seinem Kalender nach und stellte fest, dass er von 54 Wochenenden nur zwei zu Hause verbracht hatte.

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Rump wollte keine politische Karriere machen. Mehrfach hat er bei Wahlen kandidiert, aber fast immer weit hinten auf der Liste, um die Kandidatenreihen aufzufüllen. Die Partei brauchte einen wie ihn, einen klugen Kopf, der beständig blieb in einer Zeit, in der viele gingen.

Er blieb viel länger Parteiarbeiter, als er sich anfangs vorstellen konnte. Er hat im Landesvorstand der sächsischen PDS gearbeitet, bei der Landtagsfraktion, im Büro eines Bundestagsabgeordneten. 2004 hat er in Sachsen die WASG mitgegründet, als PDS-Mitglied, weil er sich davon einen neuen politischen Anstoß, einen schärferen Blick auf die soziale Frage versprach. Er schrieb weiter künstlerische Texte, führte ab und zu Regie, trat gelegentlich auf. Heute zweifelt er manchmal daran, ob es richtig war, die künstlerische Arbeit so weit zurückzustellen.

Ausgestiegen aus der hauptamtlichen Politik ist er erst 2010. Er war, sagt er, trotz Meinungsverschiedenheiten »absolut loyal. Nach so vielen Jahren in Parteidiensten ist bei mir das Gefühl gewachsen, unfrei zu sein.« Jetzt, mit 67, tut er vor allem das, was ihm am liebsten ist: lesen, schreiben, singen. Auf seiner Homepage heißt der letzte Punkt in seiner Biografie: »2010: freier Mensch«.

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Wie unterschiedlich kann man einen Vers lesen? Zum Beispiel diesen:

Das Volk, das ist sein eigner König,

der sich selbst die Dekrete schreibt.

Das Volk selbst ist sich nie zu wenig,

und diese Macht, die Macht des Volkes bleibt.

Die Zeilen gehören zum »Lied vom Volk«, ebenfalls erschienen in Rumps »Poesiealbum« von1979, geschrieben ein paar Jahre vorher. Damals entdeckten Dichter und Musiker die Folklore neu, entstaubten sie, suchten ihre aufsässigen Wurzeln. Und war es nicht das Volk, das im Sozialismus den Gang der Dinge bestimmen sollte? »Indem man die Macht daran erinnert, worauf sie sich beruft, schafft man eine Spannung zur Macht«, sagt Rump heute dazu. »Das Volk zahlt jede Rechnung / und löffelt jede Suppe aus« heißt es in dem Liedtext. »1989«, sagt Rump, »haben wird das alles um die Ohren gekriegt.«

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