Ein Script kann man nicht essen

Mounira Al Solhs Videoinstallation im KW Institute widmet sich Trauma und Flucht

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie kann man über ein traumatisches Ereignis schreiben? Etwa die Flucht von Millionen Syrern vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat, beispielsweise nach Libanon, wo bereits weit über eine Million Flüchtlinge in temporären Lagern unter extremen Bedingungen ausharren?

Die 1978 in Beirut geborene, dort und in Amsterdam zur Bildenden Künstlerin geschulte Mounira Al Solh bezweifelt, dass diese Art von Schreiben funktioniert, denn wer traumatisiert ist, kann erst wieder berichten, wenn das Trauma bereits vorbei ist. Sie weiß, worüber sie spricht, denn ihre Familie musste 1989 vor einem anderen Bürgerkrieg aus Beirut nach Damaskus fliehen, wo ein Teil der Familie noch heute lebt. Al Solh bezweifelt - und hat doch, geschickt aus der Not heraus, eine Form gefunden, auf das Flüchtlingsleid unserer Zeit aufmerksam zu machen, ohne es direkt anzusprechen oder irgend zu illustrieren. »Now Eat My Script« heißt ihre Videoinstallation, die scheinbar zusammenhanglos zwei Ebenen nebeneinander setzt, die sich gegen das Ende als aufs Engste verknüpft erweisen: Menschliches Leid bleibt zu allen Zeiten dasselbe.

Im abgedunkelten Ausstellungsraum des KW Institute läuft ein Video, über dem leise Alltagsgeräusch und Stimmengewirr liegt. Und auf dem Text eingeblendet ist. Das Script für dieses Video sei noch nicht geschrieben, heißt es, weil ständig Ereignisse die Autorin ablenken. Die Ankunft übervoll bepackter Autos mit Flüchtlingen beispielsweise, die sie vom Balkon aus beobachtet und denen sie Wegauskunft gibt. Das erinnert sie an die Flucht einer schwangeren Autorin und ihrer Familie 1989 aus Libanon in Richtung Damaskus.

Erst viel später im Text wird sich Al Solh mit dieser Autorin identifizieren; bis dahin bleibt sie der unbeteiligt objektive Betrachter des Geschehens. Etwa wie die Familie bei Verwandten duscht, so ihren bürgerlichen Status aufrecht zu erhalten trachtet und das Thema Flüchtling möglichst schneidet. Sogar Schokolade hatte man im Gepäck, die es damals in Damaskus nicht gab, war also auch Gebender, nicht nur Nehmender.

Während die Autorin etwas isst, schweifen ihre Gedanken wieder in die Vergangenheit. An den Menschen- und Warenschmuggel von Beirut nach Damaskus, an einen Felsen in Beirut, von dem sich Selbstmörder zu Tode stürzten, und wie ein Mann den Sprung der Gattin vom Balkon mit dem iPhone filmte, zufällig oder absichtlich, um sein Unbeteiligtsein an ihrem Suizid nachzuweisen, und den Todessprung im Internet öffentlich machte. Auch an hasserfüllte Syrer denkt sie, die die Herzen ihrer Feindeskämpfer essen. Ein Flüchtling mit Stalin-Bart taucht auf, der über den Nutzen des Herzens sinniert. Bis sich die Autorin endlich zur eigenen Geschichte oder der Rolle, die sie sich zugedenkt, bekennt: Eine Tante in Damaskus schmuggelt ein zerteiltes Lamm im Fond ihres Wagens zu Verwandten nach Beirut, um die Einbürgerung ihres Sohnes in Kanada zu feiern. Eine chemische Attacke kann das Fest nicht wirklich stören, denn es gilt: Wir sprechen daheim nicht über Politik. Das lässt die Autorin resümieren, Traumata könne man eben nicht beschreiben. Ich habe Hunger, wonach immer, steht auf dem Papier, dass sie am Schluss des Videos in Händen hält.

Der Film hat kommentarlos und in Slow-Motion-Technik ein schwer bepacktes blaues, leicht beschrammtes Auto gezeigt: mit blumigen Kissen und Schlafmatten, aufgeschnallten Koffern und »Product of Canada«-Säcken, Klappstuhl, Kanister, Voliere und Kisten mit Kohl und anderem Gemüse. Dann taucht aus dem Nebel eine blütenweiße Wand auf. Die Kamera fährt lange, fast bis gegen Ende des 25-Minuten-Films, zertrennte, säuberlichst gewaschene Teile des Lamms ab. Wie einzelne Kunstwerke und mit beinahe voyeuristischem Blick sieht man klüftig rotglänzendes Fleisch mit Fettwolken darauf, Haxen, gekrümmte Rippenbögen, Rückgrat, Magen, Innereien wie jenes im Text erwähnte Herz, marmorhaft geädert manches oder bleich mit Bienenwabenmuster. Höhepunkt sind der gehäutete Kopf mit dem starken Gebiss und den separat liegenden Augäpfeln.

Unappetitlich ist das, doch was ist unappetitlicher als das Schicksal hungernd getriebener Menschen, denen andere Menschen nach dem Leben trachten? Die von Radikalen und Fanatikern so tranchiert zu werden drohen wie dieses kleine Lamm, das humane Not lindern kann? Denn kann man ein Script essen? Fragt beziehungsreich die beeindruckende Videoinstallation.

Bis 15.2., KW, Auguststr. 69, Mitte, Tel.: (030) 243 45 90, www.kw-berlin.de

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